: Durchrocken im Feuchtbiotop
SCHWITZEN Quintron & Ms. Pussycat verwandelten bei ihrem Konzert das West Germany in ein entgrenztes Tropenhaus
Es fühlte sich an wie Extremsport. Dabei sollte es doch eigentlich nur ein Konzertbesuch werden. Man sah beim Hinausgehen diese weit aufgerissenen, ungläubig dreinblickenden Augen, die Münder, aus denen es „O god“ oder „Damn“ tönte, und die Leiber, die sich glitschig und voller Schweiß Richtung Terrasse oder zum Ausgang bewegten.
Dschungelcamp ohne Käfer
Sie hatten durchgehalten. Bis zum Schluss. Zum Teil waren zwar nur noch die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale von Kleidung bedeckt, aber das hartgesottene Publikum, bestehend aus gut hundert Menschen, hatte bei Saunatemperaturen auch noch die Zugabe – ein wenig souliges Gedröhne mischte sich da mit einem auf seine Orgel einhämmernden Musiker, der zwischendurch die Titelmelodie des „Rosaroten Panther“ anspielte – durchgerockt.
Konzerte im West Germany, dem nahe dem Kottbusser Tor gelegenen Klub in den engen Räumlichkeiten des Neuen Kreuzberger Zentrums, fühlen sich im Hochsommer ohnehin manchmal an wie eine Art Dschungelcamp ohne Käfer. Dass nun dieses Wahnsinnsduo aus New Orleans namens Quintron and Miss Pussycat am Montagabend in dem lüftungslosen Klub zu Gast war, verstärkte diese Tendenz noch.
Denn Quintron, der ebenso viele Musikinstrumente bedient wie neue Geräte erfindet, ist ein Phänomen. Der straßenköterblonde Musiker mit den halblangen Haaren rockte hinter seiner originären Quintron-Orgel, an der neben Tasten auch Gitarrensaiten angebracht sind und die der Front einer Limousine gleicht. Den Rest der Tanzparty besorgten die „Yeahs“ und „Uuhs“ und viel, viel Claphands von Mister Quintron und der Sängerin/Perkussionistin Ms. Pussycat. Schrägster Soul, ein bisschen Beach Boys in dreckig und sogenannter Swamp Rock war zu hören, wobei die Bezeichnung Sumpf („Swamp“) es angesichts der Feuchtigkeit im Raum, die sich jetzt auch auf dem Boden ablagerte, ganz gut traf.
Quintron stand im Laufe der Veranstaltung nur noch in Boxershort hinter seinen Gerätschaften – neben der Orgel war da noch der ebenfalls von ihm erfundene Drum Buddy, ein Drumcomputer mit integriertem Lichtspiel und ein Hi-Hat zu sehen. Der Musiker fuhrwerkte auch mit den Füßen ständig herum, während in den ersten Reihen vor ihm längst die T-Shirts ausgezogen worden waren. Quintron, der nun bereits seit 20 Jahren Musik macht und 47 Jahre alt sein soll, war zwischen Dunst und Schweißsträhnen noch zu erahnen – aus dieser Richtung hallte auch sein Wechselgesang mit Miss Pussycat bei Hits wie „Swamp Buggy Badass“ oder „Face down the gutter“.
Ms. Pussycat, die sich in ihrem Glitzerkleid ganz gut hielt, bestaunte derweil das Publikum, das sich gegenseitig mit einem Stofffächer zuwedelte und versuchte, die Ventilatoren in die eigene Richtung zu drehen, aber letztlich auch kapitulieren musste – denn man spürte die kleinen Ventilatoren schlicht nicht mehr. So tanzten sie und hüpften sie und küssten sich weiter.
Angefangen hatte dieser Abend zwar ähnlich durchgeknallt, aber noch weniger heiß – zu Beginn führten Quintron, Ms. Pussycat und das Tourteam ein Puppentheaterstück auf, bei dem sich Kuchen in einem Contest gegenüberstanden. Ein großer Mund – ein bisschen an Bernd das Brot erinnernd – durfte dort von der Rückwand der Puppentheaterbühne an verschiedenen Kuchen knabbern, während sich im Vordergrund die frisch aus dem Ofen gezogenen Fladen um den Titel balgten.
Wer ist der Leckerste of us all? Am Ende standen sich der Geburtstagskuchen und der Goblin-Kuchen gegenüber und fochten die Kuchen-Alleinherrschaft unter sich aus. Und danach brach die Hölle los. JENS UTHOFF