Gänseblümchen im Bauchnabel

Die Literaturverfilmung „Lady Chatterley“ von Pascale Ferran (Panorama) hätte einfach nur ein kleines Softcore-Skandälchen werden können. Das Gegenteil ist passiert: Dieser Film schaut sehr zart und ganz genau auf eine große, verbotene Liebe

VON CRISTINA NORD

Eine Frau und zwei Männer. Der eine ist seit dem Krieg an den Rollstuhl gebunden. Er ist Minenbesitzer, Herr über einen stattlichen Landsitz. Der andere ist der Wildhüter dieses Anwesens. Zurückgezogen lebt er in einem kleinen Steinhaus, sein Refugium ist eine Hütte weit weg vom Herrenhaus. Er hat den Mund, die Nasenlöcher, die Augenpartie von Marlon Brando. Bevor die Frau ihn zum ersten Mal sieht, passiert sie eine Pforte, untrügliches Zeichen dafür, dass sie von einer Welt in die andere tritt. Zugleich aber hat die Geste, mit der sie die Tür öffnet und wieder schließt, etwas so Konkretes, dass sie zunächst einmal nur das ist: ein Riemen, der gelockert, ein kleines Holzgatter, das angehoben und zur Seite geschoben wird. Als die Frau wenig später den entblößten Oberkörper des Wildhüters wahrnimmt, schrickt sie zusammen. Sie flüchtet, atemlos, vorbei an Zweigen, Gestrüpp, Steinen.

Die Verfilmung von D. H. Lawrence’ Romanversion „Lady Chatterley und der Mann aus dem Wald“ hätte sich im Softcore und im Streben nach Skandal und Transgression erschöpfen können. Nichts davon ist eingetreten. Im Gegenteil, der fast dreistündige Film der französischen Regisseurin Pascale Ferran ist so zurückhaltend, so zart und dabei so genau, dass man, je länger man Constance Chatterley (Marina Hands) und dem Wildhüter Parkin (Jean-Louis Coulloc’h) zusieht, umso mehr glaubt, den Geheimnissen der Liebe auf die Spur zu kommen. Ferran bringt eine große Sensibilität für die Körper der Figuren ein, für Berührungen und Blicke, für Schweißperlen, gerötete Wangen, für die groben Stoffe auf Parkins, für die weich fallenden auf Constances Haut.

Ebenso groß ist Ferrans Sensibilität für die Natur, in der die Figuren agieren. Wenn Blätter ins Bild rücken, Moos, Steine, der vom Laub bedeckte Boden des Waldes, das Wasser im Bach oder die hochstehenden Grashalme, dann wird die Natur weder im Sinne des Plots funktionalisiert noch metaphorisch ausgebeutet. Vielmehr geht es um das Glück der Konkretion. Im besten Sinne des Wortes ist „Lady Chatterley“ empfindsam, offen für die Rührung, die ein eben geschlüpftes Küken auslösen kann.

Mit dieser Haltung nähert sich Ferran auch den Sexszenen. Nichts von den Topoi entfesselter Leidenschaft, keine fragmentierten Körperansichten in rascher Montage, kein Tierwerden, keine automatischen, simultanen Orgasmen. Im Interview mit den Cahiers du Cinéma sagt die Regisseurin, es störe sie, wenn Sexszenen gefilmt seien, als hätten sie mit dem Rest des Filmes nichts zu tun. In „Lady Chatterley“ gehören sie zur éducation sentimentale der Protagonistin. Je mehr sie ihre Sexualität und ihren Körper entdeckt, umso größer wird das Feld ihrer Wahrnehmung, und sie beginnt ihre Verhärtungen zu überwinden.

In einer der schönsten Szenen schmücken sich Parkin und Constance gegenseitig mit Blüten: Gänseblümchen im Nabel, in einer Bauchfalte, im Schamhaar. Es ist dies nicht nur ein Schlüsselmoment, weil etwas von der Vorstellungskraft der Liebenden sichtbar wird, von ihrer Achtung füreinander, von ihrem Sinn für Spiel und Schönheit. Es ist auch einer der Gründe, warum dieser Film so gelungen ist: Weil Ferran ihrem Sujet dieselbe Hingabe, dieselbe im Konkreten verankerte Fantasie angedeihen lässt wie Parkin und Constance ihren Begegnungen. Hinzu tritt das große Verdienst, dass „Lady Chatterley“ die Frage nach Klasse und Status präsent hält, statt sie romantischem Überschwang zu opfern. In einer Szene lässt sich Constance zur Mine ihres Ehemannes fahren. Ihr Blick auf die aus der Grube kommenden Bergleute ist zwar halb noch fasziniert von der proletarischen Virilität, halb aber schon begreift und bedauert er, dass hier ein fundamentaler Unterschied zutage tritt. Für Constances Ehemann ist dieser Unterschied naturgegeben, für sie nicht mehr.

Trotzdem aber bleibt ihre Verbindung zu Parkin für die britische Klassengesellschaft der frühen 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts natürlich eine Mesalliance. Ein glücklicher Ausgang liegt jenseits des Möglichen, selbst wenn sich „Lady Chatterley“ am Ende der Zuversicht nicht ganz verschließen will. Nachdem Constance und Parkin auf sehr zeitgenössische Weise ihre Handlungsräume und ihre Beweggründe verhandelt haben, lautet das letzte Wort des Filmes „oui“. Ein verhaltenes, ein vorsichtiges Ja zwar, aber eben doch ein Ja.

„Lady Chatterley“. R: Pascale Ferran, Mit Marina Hands, Jean-Louis Coulloc’h, Frankreich/Belgien 2006, 161 Min.,10. 2., 20.30 Uhr, Cubix; 11. 2., 21 Uhr, Zoo Palast; 12. 2., 10 Uhr, Cinemaxx; 13. 2., 14.30 Uhr, Cubix; 19. 2., 14.30 Uhr, International