Lesbisches unerwünscht

Diese Woche entscheidet sich, ob das Berliner Homomahnmal wie geplant gebaut wird. Der Entwurf gedenkt nur des Leids von Schwulen im Dritten Reich. Prominente protestieren

VON JAN FEDDERSEN

Die Initiatoren dieses Teils im deutschen Vergangenheitsbewältigungsparcours schweigen sich aus. Albert Eckert will sich nicht äußern. Der Initiator eines Mahnmals zum Gedenken an die schwulen Opfer des Nationalsozialismus verweist auf Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), der dieser Tage Letztgültiges verkünden werde.

Noch ehe der erste Stein für dieses Mahnmal errichtet ist, das gegenüber dem Holocaust-Stelenfeld im Berliner Tiergarten platziert werden soll, gibt es Streit, der möglicherweise die Würde dieser Skulptur schon vor Baubeginn in Frage stellt.

Die Situation ist verfahren, denn die Verträge mit den Künstlern Michael Elmgreen und Ingar Dragseet sollen längst unterschrieben sein. Und das war auch recht so, denn die beiden skandinavischen Künstler haben Ende vorigen Jahres den Wettbewerb um das Mahnmal gewonnen. Ihr den Eisenman-Stelen zum Holocaust-Gedenken ästhetisch sehr verwandter Entwurf zeigt einen mehr wuchtigen als schlanken Quader mit einem Guckloch in der Mitte. Schaut man hinein, sieht man, so die Idee, einen Endlos-Videoclip mit zwei sich küssenden Männern.

Dass sich ihr Entwurf durchsetzte, mag verwundern, denn in der Ausschreibung stand ausdrücklich, die Verfolgung lesbischer Sexualität dürfe ästhetisch nicht unter den Tisch fallen. Aber sowohl die von ihr berufenen Experten als auch die Jury selbst glaubten in dem Entwurf die beste Lösung gefunden zu haben: Das Lesbische sei doch gut aufgehoben, außerdem, so bekundete nicht nur der mitverantwortliche Lesben- und Schwulenverband (LSVD), seien homosexuelle Männer viel stärker verfolgt worden als lesbische Frauen – und der mannmännliche Kuss in Innigkeit das stärkste Sinnbild dessen, was das nationalsozialistische wie alle anderen totalitären Regimes verabscheuen.

Die selbstgefälligen Äußerungen schwuler Jurymitglieder sowie von Mitgliedern der Mahnmalsinitiative als auch des LSVD mussten auf die (nicht nur) feministischen Teile der anderen Hälfte des Himmels provozierend wirken. Die Zeitschrift Emma veröffentlichte im Spätsommer eine Geschichte, die gegen dieses Mahnmal protestierte – und zugleich mit einer Unterschriftenliste eine Kampagne eröffnete. Unterzeichnet haben bisher prominente Frauen wie Emma-Chefredakteurin Alice Schwarzer und Kabarettistin Maren Kroymann, aber auch Männer wie der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei).

Die gemeinsame Kritik bündelt wohl keine so gut wie die Historikerin Claudia Schoppmann. Die Expertin schlechthin für die Geschichte der Verfolgung lesbischer Frauen zwischen 1933 und 1945 saß in keinem der Gremien: „Ich fühle mich in dem Entwurf nicht gut aufgehoben. Er zeigt nicht, was historisch die Sache ist und was bei weiteren Forschungen noch herauskommen wird.“ Schoppmanns Expertise war nicht gefragt – und es scheint, als sei das Wissen darum, was diese Zeit auch ihren Vorfahrinnen angetan hat, unwichtig für die überwiegend männlichen Macher des Projekts.

Die glaubten sich freilich auf der historisch sicheren Seite. Die Männer mit dem Rosa Winkel – das ist auch in heterosexuellen Historikerkreisen ein Topos, mit dem man etwas anfangen kann. Schwule, die allein deshalb gefasst, eingesperrt, gefoltert, kastriert, mit Arbeit zu Tode geschunden oder gleich getötet wurden. Opfer von Denunziationen, Opfer von Spitzeln, erkannt und festgenommen auf Basis von Rosa Listen, Homokarteien, die deutsche Behörden schon Anfang des Jahrhunderts anzulegen begannen und aus denen die Nazis sich nur bedienen mussten. Eine Tragödie, die nach dem Zweiten Weltkrieg kein Ende fand. Bundesdeutsche Gerichte entschieden, dass die Verfolgung Homosexueller kein spezifisch nationalsozialistisches Unrecht enthalten habe – der Naziparagraf 175 galt so bis 1969, gefördert und betoniert durch CDU und CSU.

Der Paragraf 175, von den Nazis noch entgrenzt, sodass selbst ein vermutet homosexueller Blick strafwürdig sein konnte, galt freilich nur für Männer – Frauen wurden strafrechtlich nicht verfolgt. Die Opfer dieser juristischen Entgrenzung haben sich früh, meist vergebens, zu Wort gemeldet. Lesbische Geschichten vom Überleben unter den Nazis fanden kaum Gehör – ihre Überlieferungen fanden sich nicht in Strafakten, sondern mussten mühselig aus Interviews rekonstruiert werden: Aber ist das schon ein Grund für die einseitige Konzeption des Mahnmals, dass die lesbischen Überlebenden, traumatisiert und verängstigt bis an ihr Lebensende, nicht sprechen wollten? Nicht darüber, dass sie als Lesben Verdacht weckten, dass sie in Bordelle gesteckt wurden, als Huren diffamiert, als Schlampen missachtet – Frauen, die man nur mal tüchtig im Bett rannehmen muss, damit sie am Phallischen Gefallen finden?

Nicht allein schwule Männer waren mit einer politischen und gesellschaftlichen Lage konfrontiert, in der alle „Intimbeziehungen, die nicht ins nationalsozialistische Schema passten, traumatisiert“ wurden, so der Historiker Andreas Pretzel. Ein Trauma ist ein Gemütszustand, über den einE GeschädigteR nicht reden kann – abgespalten die Erinnerung, um nicht wieder und wieder den unfassbaren Schrecken in der Fantasie erleben zu müssen, selbst in freieren Zeiten wie seit den mittleren Achtzigerjahren.

Immerhin fasste der Bundestag auf rot-grüne Initiative hin vor wenigen Jahren einen Beschluss, in dem er sich im Namen des deutschen Volkes für das Leid der homosexuellen Bevölkerung im Nationalsozialismus entschuldigte. Ausdrücklich ging es auch um die Frauen. Und die Union stimmte einmütig mit – vielleicht, weil man sich nicht blamieren wollte oder sich eine Diskussion ersparen wollte, warum die Homoverfolgung unter CDU/CSU-Ägide bis 1969 andauerte.

Aus diesem Beschluss ist schließlich der Auftrag ergangen, das Mahnmal bauen zu wollen – herausgekommen ist freilich ein Monumententwurf, den dessen Initiatoren möglicherweise als bereits beschlossen, allen Protesten zum Trotz, durchsetzen wollen. Tatsache ist aber: Selbst eine dem Mahnmalsentwurf beigestellte Infotafel, auf der stünde, dass auch Lesben viel zu leiden hatten, würde die Ausblendung der lesbischen Traumata nicht beseitigen. Im Gegenteil: Sie wäre quasi skulpturell verfestigt. Spätere Generationen würden nur erkennen: Schlimm, das mit den Schwulen – aber den Lesben ging’s ja gottlob viel besser.

Käme es so, wäre dies eine vollständige Entwertung dessen, was das Mahnmal bezwecken soll: eine im Namen des deutschen Volkes geschaffene Erinnerungsstätte, die klar macht, dass Wertschätzung nie wieder von der Fortpflanzungswilligkeit abhängen darf. Ein Mahnmal, das Lesbisches unsichtbar macht, löscht die weiblich-weibliche Seite des homosexuellen Begehrens auf – und gäbe insgeheim den Nationalsozialisten Recht, die weibliche Homosexualität auch nur für einen Fall hielt, der am besten über Zwangsprostitution zu lösen ist.

Wie sich Kulturstaatsminister Bernd Neumann aus dieser von Christina Weiss vererbten Affäre zieht, ist offen. Monika Griefahn (SPD), Mitglied des Kulturausschusses, fordert ihren Kollegen auf, die Bedenken der KritikerInnen ernst zu nehmen – im Gegensatz zu einigen Ausschusskollegen, die ihnen diese Anerkennung versagen.

Es ist ohnehin zweifelhaft, ob der Beschluss der Jury im Sinne der Bundesgesetze zustande gekommen ist. Elf Mitglieder stimmten ab – unter ihnen nur drei Frauen –, die freilich dem Vernehmen nach für das prämierte Mahnmal waren. Nur ein Juror gab zu bedenken, dass das Lesbische fehlt. Wie dem auch sei: Es wäre doch ein Witz, würde ein CDU-Kulturstaatsminister einem Mahnmal zur Durchmauschelung verhelfen, das einseitig das Männlichhomosexuelle zur Geltung und das Lesbische zum Verschwinden brächte, als wär’s ein Stück aus der Mottenkiste ewiger Männerbündelei.

Die Lösung des Problems kann nur darin bestehen, das Verfahren neu aufzurollen – diesmal unter Wahrung der Gleichberechtigung von Mann und Frau – inhaltlich wie personell.