Zerrissen und mondsüchtig

Eigentlich ist es ja eine alte Figur: Der Pierrot sorgt seit dem 16. Jahrhundert regelmäßig dafür, dass überall, wo er in der Nähe ist, Spiele verdorben und überhaupt viel grober Unfug getrieben wird. Mit seinem weiß geschminkten Gesicht und dem weißen Gewand hatte die ambivalente Männerfigur immer auch einen stark femininen Einschlag. So wurde aus dem Schelm nach und nach ein blasser, melancholischer Harlekin, der gern die Nähe des Mondes sucht. Im 20. Jahrhundert geriet dann im Zuge ästhetischer Revolutionen so manche überkommene Ordnung durcheinander, und auch der Pierrot, wie er etwa vom belgischen Dichter Albert Giraud besungen wurde, bekam etwas Zerrissenes und unberechenbar Diabolisches, das ihn nicht nur vom lieben Mond, sondern auch von den Zeitgenossen und seiner angestammten Rolle entfremdete. Für den Komponisten Arnold Schönberg waren die surrealistischen Texte Girauds ein willkommener Anlass, mit der tonalen Tradition in der Musik zu brechen und für seinen „Pierrot lunaire“ von 1912 eine Gesangsstimme zu notieren, die nicht einmal richtig gesungen, sondern halb gesprochen werden sollte. Sein harmonisch befreites Musiktheater sollte zu einem Klassiker der Moderne und ein entscheidender Schritt Schönbergs auf dem Weg zur Zwölftonmusik werden. In seiner Inszenierung am HAU 1 überlagert Pornoregisseur Bruce LaBruce die Gedichte mit einer dildolastigen Geschichte um eine Frau, die sich, als Junge verkleidet, in eine andere Frau verliebt. Deren misstrauischer Vater kommt der Sache auf die Schliche und verbietet kurzerhand den Umgang, was die Abgewiesene zu einer verzweifelten Maßnahme treibt. Die Musik kommt bei dem Grand-Guignol-Klamauk leider zu kurz. TCB

■ Pierrot Lunaire: HAU 1, Stresemannstr. 29. Dienstag, 19.30 Uhr. Ab 11 Euro