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Archiv-Artikel

EPISCHEN DÜNNSCHISS BRAUCHT KEIN MENSCH, ALLES MUSS SCHNELL GEHEN, FÜR TIEFE UND ABSCHWEIFUNG FEHLT DIE ZEIT Die passende Länge

LIEBLING DER MASSEN

Schreib niemals Kurzgeschichten“, waren stets die mahnenden Worte der Agenten und Verleger. Da einer meiner Leitsprüche „Sag nie niemals“ lautet, füllte ich daraufhin nicht weniger als fünf Bände mit närrischen Dreiseitern. Doch jetzt, ausgerechnet nach Vollendung meines ersten Romans, geht der Trend auf einmal zur Kurzform.

Laut einem Artikel in der englischen Telegraph hängt der Wandel mit modernen Kommunikationstechnologien zusammen. Denn alles muss schnell gehen, für Tiefe und Abschweifung fehlt die Zeit. Schließlich muss man ja politische Karriere machen. Wir scrollen nur noch durch, lesen quer und bekommen so natürlich nichts mit. Anschließend fragen wir in einem wütenden Leserbrief, was dieser wirre Scheiß eigentlich sollte.

Die Aufmerksamkeitsspanne reicht gerade mal für eine Kurzgeschichte. Die besitzt das passende Format für unsere reduzierte Fähigkeit, aber auch Bereitschaft zur Konzentration. In einer Gesellschaft, die das schnelle Ergebnis will, die schnelle Information, den schnellen Kick, den schnellen Klick, den schnellen Fick, ist kein Raum mehr für Romane. Wer gleichzeitig seinen Status postet, Quiz-Duell spielt, sich über Bürgerkriege, Sonderangebote und das Wetter informiert, dated, Petitionen unterzeichnet, seine E-Mails checkt und von alldem noch ein Selfie macht, legt sich nicht mit „Finnegans Wake“ ins Gras.

Doch auch das ist mir noch alles viel zu optimistisch. Die ideale Länge hat wohl eher die klassische Textnachricht über 160 Zeichen – die beim Smartphone mögliche Erweiterung ist schon zu viel. So einen epischen Dünnschiss braucht doch kein Mensch. Als Beispiel hier ein Katzenkrimi in SMS-Länge: Nacht. Regen. Schatten. Hack. Au. Hackhack. Au au miau. Tot. Die Katzenpolizei: Hä? Dienst nach Vorschrift. Schlauer Katerdetektiv. Pfotenabdrücke. Hund war’s.

Da wären sogar zwei Zeichen übrig, das reicht auch noch für ein Smiley.

Ich selber erinnere mich an eine Lesung in Köln vor einer Horde Twitter-Nerds: Pünktlich nach anderthalb Sätzen, also etwa 160 Zeichen, sackten alle wie auf Kommando in sich zusammen und begannen ihre leuchtenden Displays zu bearbeiten. Bestimmt twitterten sie mit den direkt neben ihnen Sitzenden, da sie wie das Zuhören auch das Miteinandersprechen verlernt hatten. Vielleicht hat ihnen ja auch mein Zeug nicht gefallen.

Analoges Background-Gelaber

Natürlich hätte ich hinterher nachfragen können, aber in dem Moment wäre der Bezug für sie schon längst nicht mehr herzustellen gewesen: „Hä? Wer bist du denn? Und was für ’ne Lesung: Meinst du dieses analoge Background-Gelaber, das mich beim Twittern gestört hat?“

Früher war alles besser. Man molk die Muhkuh, sott den Saft und baute Autobahnen, auf denen kleine rote Autos emsig hin und her fuhren. Des Abends nach getaner Arbeit kuschelte man sich unter einer blaugrünkarierten Schafswolldecke in einen Lehnsessel, der so gemütlich war, dass man darin sterben wollte. Im Kamin knackte und prasselte traulich die deutsche Eiche, während man mit einer putzigen Brille auf der Nase dreitausend Seiten fette Bücher wälzte. Hatte man genug gelesen, begab man sich rechtschaffen müde zu Bett. Aber nie allein. Denn es gab Liebe, wo heute nur noch Selfies sind.

Und heute? Auch ein System mit sechsundzwanzig Buchstaben ist eigentlich noch viel zu kompliziert. Wer braucht den Scheiß? Bald morsen wir nur noch über binäre Codes. Schwarz, weiß: grau. Ja, nein: Tempelhof. Plus, minus: null. Eins, null: Sieg. Null, eins: Niederlage: Eins, eins, null: Polizei. Ach, man kann mit so wenig so viel ausdrücken.