Eine Million Libyer brauchen Hilfe

LIBYEN Während im Landesinneren die Kämpfe anhalten, spielen sich an den Grenzen Flüchtlingsdramen ab

Nach Angaben von Nato-Chef Rasmussen ist das Militärbündnis zum Eingreifen bereit

GENF/BRÜSSEL/WASHINGTON/BERLIN rtr/dapd/afp/taz | Mehr als eine Million Libyer, die im Land oder außerhalb auf der Flucht sind, brauchen nach Angaben der UNO Hilfe. UN-Hilfskoordinatorin Valerie Amos sagte am Montag in Genf, die Flüchtlingsdramen spielten sich an den Grenzen des nordafrikanischen Landes ab, wo Rebellen den seit mehr als 40 Jahren herrschenden Machthaber Muammar Gaddafi stürzen wollen.

Priorität hätten für sie derzeit die 300.000 Einwohner der von Rebellen kontrollierten Stadt Misurata, die am vergangenen Wochenende von Regierungstruppen mit Panzern und Raketen beschossen worden sei. „Hilfsorganisationen brauchen jetzt dringend Zugang“, sagte Amos, die kürzlich das tunesisch-libysche Grenzgebiet besucht hatte. „Die Leute sind verletzt, sie sterben und brauchen dringend Hilfe.“

Misurata befindet sich seit Beginn des Aufstandes in den Händen von Rebellen. Die Stadt ist jedoch von anderen Rebellengebieten isoliert. Wie die Offensive vom Wochenende gegen Misurata ausgegangen ist, ist noch unklar. Regimetreue Truppen waren am Montag Augenzeugen zufolge auch auf dem Vormarsch in die Ölstadt Ras Lanuf. Ihr Angriff löste eine Fluchtbewegung unter den Einwohnern aus. Laut einem Zeugen griff ein Kampfflugzeug das östliche Randgebiet der von Rebellen gehaltenen Stadt an.

Unterdessen ernannte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den ehemaligen jordanischen Außenminister Abdelilah al-Chatib zum Sondergesandten für Libyen. Er wird in den nächsten Tagen in New York erwartet, ehe er sich in die Region begibt. Ein UN-Expertenteam kehrte am Sonntag aus der von Aufständischen gehaltenen Stadt Bengasi nach Kairo zurück. Wie Valerie Amos vorab erklärte, sei die humanitäre Lage dort gegenwärtig nicht bedrohlich. Sie wies jedoch darauf hin, dass das Ausbleiben von Nachschub aus Tripolis zu Problemen mit der Lieferung von Lebensmitteln, Benzin und Medikamenten führen kann.

Auch die EU schickte eine „technische Mission“ nach Libyen, die sich zunächst in Tripolis aufhielt. Das von der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton am Sonntag entsandte Team soll Informationen über die bisherigen Hilfsaktionen sammeln und eine Einschätzung geben, welche weiteren humanitären Maßnahmen nötig seien. Treffen mit libyschen Regierungsvertretern seien nicht geplant.

Angesichts der erbitterten Kämpfe werden die Forderungen nach einer Unterstützung der Aufständischen lauter. Nach Angaben von Nato-Chef Anders Fogh Rasmussen ist das Militärbündnis zum Eingreifen bereit. Dafür sei aber ein klarer Auftrag des UN-Sicherheitsrats nötig. Nach einem Bericht der New York Times bereiten sich auch die US-Streitkräfte auf einen eventuellen Einsatz in Libyen vor. Wie es unter Berufung auf ungenannte Regierungsmitarbeiter hieß, werde der Einsatz von Flugzeugen im internationalen Luftraum vorbereitet, mit denen die Funkkommunikation in Libyen gestört werden könnte. Zudem seien weitere Marineverbände vor der Küste in Stellung gegangen. Eine Option sei demnach, Sondereinsatztruppen einzuschleusen, um die Aufständischen zu unterstützen. Mehrere US-Außenpolitiker brachten auch Waffenlieferungen für die Rebellen ins Gespräch. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, sprach sich nach Angaben des französischen Außenministeriums für ein Flugverbot über Libyen aus.