: Das Wahlchaos geht weiter
AFGHANISTAN Wegen ungeklärter Details zwischen den Kontrahenten wurde zum dritten Mal die vereinbarte Neuauszählung der schlecht vorbereiteten Präsidentenwahl gestoppt
VON THOMAS RUTTIG
BERLIN taz | Die mit vielen Hoffnungen verbundene Präsidentenwahl in Afghanistan wird immer chaotischer. Vierzehn Tage nach Beginn der Neuauszählung der Stimmen, die auf weniger als einen Monat angelegt war, wurde sie am Samstag schon zum dritten Mal unterbrochen. Da waren erst knapp 1.400 der 23.000 Wahlurnen überprüft worden. Ursache ist ein Streit zwischen beiden Bewerbern für die Nachfolge des scheidenden Präsidenten Hamid Karsai darüber, welche Kriterien angewendet werden sollen, um legitime von gefälschten Stimmen zu unterscheiden.
Die Kontrahenten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, beide frühere Minister, sollten sich über die am Mittwoch zu Ende gehenden Feiertage zum Ende des Fastenmonats Ramadan über das weitere Vorgehen einigen. Doch ob sie das geschafft haben, ist völlig unklar.
Die Neuauszählung ist bereits der fünfte Akt im Dauerwahlspektakel. Die erste Wahlrunde fand schon am 5. April statt. Keiner der acht Bewerber kam über die 50-Prozent-Hürde für einen direkten Wahlsieg. Am 14. Juni gingen die beiden führenden Kandidaten, Ghani und Abdullah, in die Stichwahl. Die Wahlkommission sah nach vorläufigen Ergebnissen Ghani mit 56,4 zu 43,6 Prozent vorn. Damit hätten sich Ghanis Stimmen seit der ersten Runde, bei der er 900.000 Stimmen hinter Abdullah lag, auf 4,5 Millionen verdoppelt, Abdullah hätte stagniert.
Letzterer führt den Umschwung auf Manipulationen „im industriellen Maßstab“ zurück. Eine Stichprobenrevision der angeblich abgegebenen 8,1 Millionen Stimmen blieb in technischen Unklarheiten stecken. Unabhängige afghanische Wahlbeobachter gehen von 2,3 Millionen gefälschten Stimmen aus.
Mitte Juli handelte US-Außenminister John Kerry in Kabul auf der Grundlage eines UNO-Plans mit Abdullah und Ghani eine vollständige Neuauszählung der Stimmen aus und brachte beide dazu, sich vor laufenden Kameras versöhnlich zu umarmen und zu versichern, man werde das Ergebnis des sogenannten Audits auf alle Fälle anerkennen. Doch dann wurde klar, dass man sich nicht abschließend auf alle der 16 von der UNO vorgelegten Prüfkriterien geeinigt hatte. Nun heißt es, Kerry komme wohl dieser Tage erneut nach Kabul.
Die Kabuler Wahlmisere ist eine Verkettung von Kurz- und Langzeitfaktoren. Kerry hat offensichtlich nicht erkannt, dass bei einem technischen Vorgang wie einer Neuauszählung der Teufel im Detail liegt. Schwerer wiegt, dass beim Wiederaufbau des afghanischen Staates seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 unter internationaler Aufsicht schwere Fehler begangen wurden. Die Regierungen im Westen ließen zu, dass Karsai eine Fassadendemokratie mit zu schwachen und vor allem nicht unabhängigen Institutionen schuf, die Krisen allein nicht lösen können. Karsais Kurs der „Afghanisierung“ nicht nur der Wahlinstitutionen, verbunden mit einer Dämonisierung der UNO und des Auslands insgesamt, führten das Land in eine Sackgasse und zeigte, dass die Regierung in Kabul noch nicht allein legitime Wahlen durchführen kann. Karsai konnte nur noch den Offenbarungseid leisten und die UNO bitten, ihm da herauszuhelfen.
Das Wahlschlamassel diskreditiert in der Bevölkerung weiter die demokratischen Mechanismen und Institutionen, die der Vielvölkerstaat so dringend braucht. Sogar afghanische Journalisten, die mit der Wahlberichterstattung alle Hände voll zu tun haben, demonstrierten gegen das nicht endende Gezerre, welches das Land tiefer in die Krise zieht. Wirtschaftsvertreter melden bereits Verluste von Umsätzen und Arbeitsplätzen.