: Sozialpolitik für Mittelschichten
CONTRA: Wo sollen die Armen wohnen? Darauf haben die Grünen keine Antwort. Wohnungen kann schließlich nur kaufen, wer über ausreichend Kapital verfügt
Den Freiburgern wird gern vorgeworfen, sie hätten nur „aus Angst“ gegen den Verkauf von 7.900 kommunalen Wohnungen gestimmt. Als wäre Angst völlig irrational und unpassend für den mündigen Bürger. Doch für Mieter ist es keine gute Nachricht, dass bundesweit bis 2010 noch etwa eine Millionen städtische Wohnungen verkauft werden könnten. Denn die Mieter sind die Schwachen.
Der Wohnungsmarkt ist kein Markt, obwohl er oft so bezeichnet wird. Für die Mieter ist ihre Wohnung keine Ware, sondern das Zentrum ihres Lebens. Die Kinder gehen in der Nähe zur Schule, die Nachbarn sind zu Freunden geworden, der Arbeitsplatz ist leicht erreichbar. Mieter sind immobil – während das Kapital der Investoren höchst mobil ist, um den ganzen Globus wandern kann und maximale Renditen erwirtschaften soll.
Der grüne Freiburger Oberbürgermeister Salomon hat versucht, seine Bürger damit zu beruhigen, dass es doch den Mietspiegel gebe. Der begrenzt die Willkür der Wohnungseigner tatsächlich ein wenig: Bundesweit stiegen die Nettomieten in den letzten beiden Jahren jeweils nur um ein Prozent. Aber dies sind Durchschnittswerte für ganz Deutschland, die nicht für die westlichen Ballungsgebiete gelten. In Freiburg etwa weist der letzte Mietspiegel von 2004 aus, dass die Nettomieten jährlich um drei Prozent anzogen.
Vor allem die untersten Schichten können Mieterhöhungen nicht verkraften. Im marktradikalen Überschwang wird oft vergessen, dass es Armut auch in den reichsten Gebieten Deutschlands gibt: Sogar eine Boomregion wie Freiburg verzeichnet eine Arbeitslosenquote von mehr als 8 Prozent.
Wo sollen die Armen wohnen? Das ist die entscheidende Frage der Wohnungspolitik – und darauf haben die Grünen keine Antwort. Es ist nichts gegen den Vorschlag von Kerstin Andreae zu sagen, Mietern zu ermöglichen, dass sie ihre Wohnungen kaufen – aber dieses Programm nutzt nur den Mittelschichten, die das nötige Geld besitzen. Die Grünen wiederholen den Fehler, der schon an der Riester-Rente auffiel: Im festen Glauben an die private Vorsorge vergessen sie jene, die zu arm sind, um Kapital anzusparen.
Das Beispiel Freiburg ist illustrativ: Laut Mieterbund sind dort weit mehr als 9.000 Bürger so bedürftig, dass sie eine kommunale Wohnung benötigen. Für viele muss die Stadt zudem Wohngeld zahlen. Da wirkt es sehr unwahrscheinlich, dass es langfristig ein gutes Geschäft gewesen wäre, 7.900 städtische Wohnungen zu verkaufen. Sie werden offensichtlich noch gebraucht.
Aber ist langfristiges Denken gestattet? Die Grünen wenden ein, dass Freiburg so viele Schulden aufgehäuft habe, dass bereits kurzfristig die totale Handlungsunfähigkeit drohe. Das ist nicht zu leugnen. Wie viele andere Städte kann Freiburg kaum noch in Schulen oder Kindergärten investieren, weil die Zinslasten einen Großteil der Einnahmen auffressen.
Kindergärten gegen Sozialwohnungen, Zukunft gegen Armut – was für ein moralisches Dilemma wird da gezeichnet. Es verleitet zu vergessen, wie die Kommunen in diese missliche Lage gerieten. Zum Teil sind die Probleme selbst verschuldet, auch dafür ist Freiburg ein Beispiel. So wurden Millionen in ein Konzerthaus und ein Messegelände investiert, die jetzt weitere Millionenverluste produzieren. Mit ihrem Veto haben die Freiburger gegen die Ungerechtigkeit protestiert, dass die Bedürftigen dafür büßen sollen, wenn sich das Konzertvergnügen der Mittelschichten nicht rentiert.
Vor allem aber hat die rot-grüne Bundesregierung mit ihren Finanzreformen dafür gesorgt, dass die Kommunen Milliarden an Steuereinnahmen verloren haben. Von diesen Steuergeschenken haben die Mittel- und Oberschichten profitiert – und nun ist kein Geld mehr für Sozialwohnungen übrig. Diese erstaunliche Entwicklung wollten die Freiburger nicht mehr akzeptieren. Hoffentlich folgen ihnen noch andere Städte.
ULRIKE HERRMANN