: „Kein Blankoscheck für Rothschild“
Die „Libération“ bekommt nach knapper Zustimmung des Personals zum Sanierungsplan einen neuen Chefredakteur
Ein Hoffnungsschimmer zeichnet sich ab am Horizont der Libération. Die Gefahr einer Pleite oder einer Kraftprobe zwischen Personal und Aktionären, die einem Selbstmord des linksliberalen Blattes gleichkäme, scheint vorerst gebannt.
Mit Erleichterung und Genugtuung nahm gestern der Verwaltungsrat von Libération die knappe Zustimmung der Redaktion zum jüngsten Sanierungsplan zur Kenntnis. Ein Kapitalzuschuss von rund 15 Millionen Euro soll Libération jetzt die schwer defizitäre Zeitung wieder flott machen. Zudem bekommt die Redaktion einen neuen Chef: Laurent Joffrin (54), bislang Redaktionsleiter beim renommierten Magazin Le Nouvel Observateur, übernimmt das Ruder bei der Libération.
Dort ist er ein alter Bekannter: Von 1981 bis 1988 und dann von 1996 bis 1999 arbeitete Joffrin für die Libé – dazwischen zog es ihn stets zum Nouvel Obs. Nach diesem nun zweimaligen Hin und Zurück dürfte die Heimkehr zur Libération zum Prüfstein seiner Journalistenkarriere werden.
Er muss nun eine umfassende Umstrukturierung der Redaktion managen – und mit einer neuen Linie die Zeitung auf Erfolgskurs bringen. Vor der Redaktionskonferenz bekannte sich Joffrin zum Konzept einer kritischen, engagierten und politisch linken Tageszeitung. Er will nun die Redaktion der Print- und der Online-Ausgabe völlig reorganisieren und fordert dafür von den Redaktionsmitgliedern „mehr Flexibilität“. Am massiven Stellenabbau führt dabei offenbar kein Weg vorbei: Von gegenwärtig 280 Arbeitsplätzen inklusive Sekretariat, Dokumentation und Fotodienst sollen 60 bis 80 wegfallen. Edouard de Rothschild, der neue Hauptaktionär des Blattes, hatte hatte zuerst mehr als 100 Stellenopfer verlangt, billigt aber jetzt Joffrins leicht reduzierte Pläne.
Inhaltlicher Einfluss der heutigen und künftigen Investoren bleibt aber auch unter dem neuen Chefredakteur tabu: „Es gibt eine Charta, die die Unabhängigkeit der Zeitung garantiert. Ich habe nie akzeptiert, dass man mir sagt, was ich schreiben oder ändern soll. Mit 54 werde ich nicht eine Karriere als Marionette beginnen“, so Joffrin vor seinen zukünftigen, höchst skeptischen RedakteurInnen.
In einer geheimen Abstimmung hatten die Beschäftigten am Freitag dem vorliegenden Rettungsplan mit äußerst knappem Ergebnis zugestimmt. Nur weil 50 Stimmberechtigte einen leeren Zettel in die Urne legten und sich damit enthalten, kam überhaupt eine Mehrheit zustande. Denn es ging nicht nur um Stellenabbau, auch das traditionelle Vetorecht der Personalvertreter im Libé-Verwaltungsrat ist dahin. „Diese Zustimmung ist aber kein Blankoscheck für Rothschild und Joffrin“, stellte der Sprecher dieser mit 18 Prozent an der Firma beteiligten Gesellschaft des Personals von Libération (SCPL), Gilles Lahrer, klar.
François Wenz-Dumas von der Journalistengewerkschaft SNJ sagte, nun sei es an Hauptaktionär Rothschild, sein Versprechen einzuhalten und zusammen mit neuen Geldgebern neues Kapital in die Zukunft der Zeitung zu investieren.RUDOLF BALMER, Paris