: Biermann, ein wichtiger Lyriker
betr.: „Ein großer, großer Roman. Der Klassenkampfkasper Wolf Biermann wurde 70“, taz-Wahrheit vom 16. 11. 06
Das hat Biermann nicht verdient. Die Artikel zu seinem Geburtstag waren inhaltlich niveaulos und ohne Respekt vor der Würde des Menschen. Jemanden einen „Eiterpickel“ zu nennen, ist mehr als geschmacklos. Leider ist der Artikel von Wiglaf Droste kein Einzelfall.
Was fehlt, ist eine kritische Würdigung, da Biermann tatsächlich einer der wichtigen deutschen Lyriker seit 1945 ist. Biermann hat in den 1960er und 1970er Jahren viele Gedichte und Lieder geschaffen, die sprachlich auf einem hohen Niveau seine Rolle als Privatmensch und frei denkendes Individuum in einem totalitären Staat reflektieren.
Die „Ermutigung“ wurde zur Hymne nicht nur der Oppositionellen im Kampf gegen den Unrechtsstaat, die „Stasi-Ballade“ stellte das Spitzelsystem in nie gekannter Deutlichkeit dar. Durch seine Weigerung, seine Kunst Parteitagsbeschlüssen anzupassen, wurde er zum Oppositionellen und zum Hoffnungsträger für viele Menschen, die sich einen offenen Sozialismus wünschten. Das Regime diskreditierte sich im Umgang mit ihm derart, dass viele Menschen (nicht nur Intellektuelle) den Glauben an die DDR verloren. Der Brain-Drain nach Biermanns Ausbürgerung 1976 war der Anfang vom Ende des ostdeutschen Unrechtsstaates.
Nicht einfach war es für Biermann, in Westdeutschland Fuß zu fassen. Doch gerade in der Wendezeit und nach der Wiedervereinigung waren seine Einlassungen wichtige, wenn auch formal und inhaltlich umstrittene Debattenbeiträge – seine „Ballade von den verdorbenen Greisen“ und seine Büchnerpreisrede beeinflussten den Diskurs um den richtigen Umgang mit der Stasi-Vergangenheit. Auch künstlerisch kam in den 90er Jahren viel Produktives zum Vorschein, etwa seine „Legende von der Inge Müller“ oder die Übertragung des jüdischen Epos „Der große Gesang von Jizchak Katzenelson vom ausgerotteten jüdischen Volk“.
Umstritten waren dagegen seine politischen Wandlungen. Viele Fans waren von Auftritten beim CSU-Parteitag 1998, seinen Einlassungen zum Golfkrieg oder seinem Engagement beim Springerblatt Die Welt verwirrt bis verärgert, zumal kein Grundgedanke sichtbar wurde, außer der ziemlich platten Botschaft: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Gleichwohl tritt dies hinter sein Werk zurück, das man üblicherweise zu einem Geburtstag kritisch würdigt. Also, in fünf Jahren bitte anders. SEBASTIAN LAKNER, Göttingen