Die Würde des Klangs

JENSEITS Das Festival „Lux aeterna“ im Berghain besinnt sich auf die Transzendenz in der Musik – und will sie mit Sperrigem, Seltenem und nie Gespieltem aus dem Korsett der Warenform befreien

Abkehr vom bloßen Warencharakter der Musik: Tanzen, Entspannen, Einkaufen

VON TIM CASPAR BOEHME

Wenn Musik etwas über die allgemeine Verfassung ihrer Schöpfer und Hörer aussagt, dann leben wir in düsteren Zeiten. Viele Musiker betonen gegenwärtig gern das Klaustrophobische, Bedrohliche und Resignierte. Dubstep, diese oft von dunkel dräuenden Bässen und unheilvoll hallenden Beats dominierte Clubmusik, die in der letzten Dekade aufkam, ist ein Beispiel für die Schwermut, die sogar auf der Tanzfläche Einzug hielt. Statt das Leben euphorisch zu feiern, werden sich die Musiker, wie es scheint, der Aussicht auf sein sicheres Ende bewusst.

Da passt es nur zu gut, wenn im Club Berghain, in dem man sonst auch schon mal zu Dubstep tanzen kann, für die nächsten beiden Tage unter dem Titel „Lux aeterna“ der Transzendenz der Musik gedacht wird. Um Spiritualität soll es dabei durchaus gehen, auch wenn keine liturgische Musik erklingen wird. Dem künstlerischen Leiter Ekkehard Ehlers, der das Programm zusammen mit dem Musikwissenschaftler und taz-Autor Björn Gottstein kuratiert hat, geht es in der Konzentration auf Übersinnliches vielmehr um eine Abkehr vom bloßen Warencharakter der Musik, von ihrer Reduzierung auf Funktionszusammenhänge – Tanzen, Entspannen, Einkaufen oder wozu man Musik sonst noch in Dienst nehmen kann.

Aggressive Transzendenz

Für experimentelle Musiker, so Ehlers, gebe es gegenwärtig keine Musikökonomie mehr, die ihnen ein Auskommen ermöglicht: „Die Musiker sind von der Gemeinschaft enteignet worden, und dieser Zustand ist ziemlich würdelos. Da Musik eigentlich etwas sehr Würdevolles ist, stellte sich uns die Frage: Wie könnte man das wieder betonen? So kamen wir auf eines der ureigensten Merkmale der Musik: ihren Bezug zum Jenseits.“

Und so dürfte es wohl das erste Mal sein, dass im für klassische Musik durchaus offenen Berghain Chormusik des 20. Jahrhunderts erklingt, darunter György Ligetis mikropolyfones A-cappella-Stück „Lux aeterna“, dem das Festival seinen Namen verdankt. Auch mittelalterliche Instrumentalmusik von Hildegard von Bingen oder Guillaume de Machaut steht auf dem Programm.

„Wir wollen Musik vorstellen, die nicht oder sehr selten gespielt wird“, so Ehlers. Dazu gehört neben Klassikern der Neuen Musik des 20. Jahrhunderts wie John Cages „Sonatas and Interludes“ für präpariertes Klavier oder einem Solostück für Kontrabassklarinette des französischen Spektralisten Gérard Grisey auch ein Auftragswerk der rumänischen Komponisten Ana-Maria Avram und Iancu Dumitrescu, die in ihrer Musik die Oberton-Experimente des Spektralismus mit freier Improvisation verbinden. Ein rein akademisches Festival ist „Lux aeterna“ jedoch keinesfalls.

Der britische Saxofonist Evan Parker wird mit dem Heidelberger Kammerflimmer Kollektief zusammen das Stück „Ghosts“ der Free-Jazz-Ikone Albert Ayler aufführen, während der amerikanische Noise- und Drone-Spezialist Kevin Drumm mit seiner Performance stark auf die körperlich-aggressiven Aspekte der Transzendenz abheben dürfte.

Gespenstische Klänge

Und zum Abschluss des Festivals kehren die Gespenster früherer Klänge in Gestalt von „Hauntology“ auf die Bühne zurück, ein musikalischer Trend, bei dem die Nostalgie nach der verlorenen Vergangenheit (oder Zukunft) ihre eigene Patina reflektiert. Der in Berlin lebende Brite Leyland Kirby etwa wird als the Caretaker alte Ballroom-Musik mit digitalen Strategien in melancholisch-jenseitige Ambient-Strukturen überführen.

Geprägt wurde der Begriff Hauntology übrigens vom britischen Musikjournalisten und Kulturwissenschaftler Mark Fisher, der ebenso wie der Schriftsteller Dietmar Dath in Vorträgen den theoretischen Horizont des Festivals abstecken wird. Ehlers geht es in seiner Fragestellung nämlich nicht bloß um ästhetische Kategorien, sondern auch um politische: „Es ist ein sozialistisches Musikfestival“, so seine Überzeugung.

Nicht umsonst spielt der Ankündigungstext etwas überdeutlich auf das „Kommunistische Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels an: „Ein Gespenst geht um in der Welt – das Gespenst der Musik.“ „Lux aeterna“ soll auch dazu auffordern, sich über den Festivalrahmen hinaus Gedanken zu machen, was sich an der „ökonomisch desaströsen Lage“ der Musik ändern ließe. Ihre Gespenster, wie sie mit den Hauntologists durch den Musikbetrieb geistern, werden womöglich nicht eher ruhen, bis die Musiker ihre Würde zurückhaben. Der nächste Schritt wäre für Ehlers denn auch die Politisierung. Die soll allerdings weiteren Festivals vorbehalten bleiben.

■ „Lux aeterna“: 10. bis 11. März, Berghain