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Archiv-Artikel

Porsche fährt VW

AUS HANNOVERJÜRGEN VOGES

Der Kampf um die Macht bei VW zwischen den Großaktionären Niedersachsen und Porsche ist entschieden. Unter dem Eindruck der drohenden Niederlage im Rechtsstreit um das VW-Gesetz vor dem Europäischen Gerichtshof hat das Land mit Porsche Frieden geschlossen und die Rolle der Nummer zwei bei Europas größten Autobauer akzeptiert. Wie gestern aus Kreisen der niedersächsischen Landesregierung verlautete, werden Ministerpräsident Christian Wulff und der Porsche-Großaktionär und VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch heute gemeinsam auf einer Betriebsversammlung in Wolfsburg sprechen und so den Friedensschluss dokumentieren. Niedersachsen will dafür eine weitere Amtszeit von Piëch als VW-Aufsichtsratsvorsitzender mittragen. Porsche sicherte dem Land zu, dass Niedersachsen auch unabhängig vom VW-Gesetz künftig zwei Posten im VW-Aufsichtsgremium besetzen dürfe. Dafür akzeptiere das Land, dass Porsche künftig mit drei Personen in dem Gremium vertreten sei.

Landeschef Wulff hatte sich seit dem Einstieg des Sportwagenherstellers gegen eine erneute Kandidatur von Piëch für den Aufsichtsratsvorsitz und die drei Sitze für Porsche in dem Gremium gewandt. Der Sinneswandel folgte, nachdem gestern der Generalstaatsanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in einem Gutachten verlangt hatte, das VW-Gesetz in drei wichtigen Punkten für unvereinbar mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaft zu erklären. Die EU-Kommission fordert seit März 2004 von der Bundesregierung, das VW-Gesetz zu ändern, weil es den Staat als Anteilseigner begünstige und ausländische Investoren benachteilige. Meist folgen die Richter des Europäischen Gerichtshofes im späteren Urteil dem Gutachten des Generalanwalts. Sie müssen dies aber nicht. Mit dem endgültigen Urteil des Gerichtshofs – wahrscheinlich dann gegen das Sondergesetz für VW – ist frühestens im Sommer zu rechnen.

Generalanwalt Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer übernahm in seinem Gutachten die Kritik der EU-Kommission an dem 47 Jahre alten Gesetz und schlug vor, Deutschland zu verurteilen. Anstoß nahm Ruiz-Jarabo an der Regelung, dass Anteilseigner höchstens 20 Prozent der Stimmrechte ausüben dürfen, selbst wenn sie mehr als 20 Prozent des Unternehmens besitzen. Außerdem kritisierte der Staatsanwalt, dass bei VW schon 20 Prozent der Stimmrechte ausreichen, um eine Sperrminorität zu bilden. Für wichtige Entscheidungen ist auf der VW-Hauptversammlung derzeit eine 80-Prozent-Mehrheit nötig. Im Konflikt mit dem EU-Recht stehe ebenfalls das Recht des Bundes und Niedersachsens, je zwei Vertreter in den VW-Aufsichtsrat zu schicken. In der Praxis ist diese Bestimmung allerdings bedeutungslos, da der Bund seit den 80er-Jahren keine VW-Aktien mehr hält und auch im Aufsichtsrat nicht mehr vertreten ist.

Das VW-Gesetz entstand 1960 unter Federführung von Ludwig Erhard. Es sollte die Eigentumsverhältnisse des einst von der nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront gegründeten Unternehmens klären. Darin wurde der gleichrangige Einfluss von Bund und Land festgeschrieben. Gleichzeitig sollte aber auch das Eigentum der Kleinaktionäre geschützt werden. Das VW-Gesetz war seinerzeit ein Kompromiss zwischen der CDU-geführten Bundesregierung und dem SPD-regierten Niedersachsen.

Das Land plante, aus dem VW-Werk, dessen Aufbau die Deutsche Arbeitsfront auch aus beschlagnahmten Gewerkschaftsvermögen finanziert hatte, eine Stiftung zu machen. Ludwig Erhard wollte durch die Ausgabe von Volksaktien ein Beispiel für den „Volkskapitalismus“ schaffen, mit dem er zuvor in den Wahlkampf gezogen war. Am Ende wurden 60 Prozent des VW-Kapitals an Kleinaktionäre verkauft und in die VW-Stiftung eingebracht.