: Ich lauf nach Hause
MARSCH Marcello Fauci fotografiert eigentlich Konflikte. Als ihm das Geld ausging, ging er durch sein Land. Von Nord- nach Süditalien. Eine Bildreportage über 1.500 Kilometer
Die alte Frau stand im Garten, als er vorbeikam, sie gab ihm Früchte. Nach Crotone wolle er also, sagte sie. Cro-to-ne. Und wo das sei? Sie trug eine Schürze und, so sah es aus, die Abendsonne auf den Schultern. Das ist im Süden, sagte er. Kalabrien. Dort sei er aufgewachsen, und dorthin gehe er nun zurück. Ja, er gehe, 1.500 Kilometer, und jeden einzelnen davon zu Fuß.
Die alte Frau lachte. Das schaffst du nie.
Marcello Fauci lachte zurück. Ganz sicher, sagte er, und dachte: Meine Beine bringen mich um. Das war vierzig Kilometer von Mailand. Er war einen Tag gelaufen. Konfliktmüde. Sonst hatte er Weltgeschehen fotografiert, in Gaza, Kiew, auf der Krim. Das Große. Jetzt fehlte ihm, neben Aufträgen, Ideen und einem neuen Reisepass, das Kleine.
Also lief er los, der Rucksack gefüllt, als suche er die Wildnis, Kamera, Pulli, Jacke, vier Paar Socken, vier Paar Unterhosen – obwohl er das Leben suchte; sein Land durch Gesten und Blicke zeigen wollte, dieses Postkartenland der Klischees, das so viel beneidet wird um seine Buchten, Gassen und Eiskugeln und so viel beschimpft für Berlusconi, Kirche und Mafia.
Marcello Fauci ist Atheist und will über Italiens Politik nicht reden, no way, ruft er. I will start to cry. Über seine Katze redet er, Vulcano, die ihm unterwegs begegnete und fortan in einer Box mitgetragen wurde. In 58 Tagen musste er dreimal in einem Hausflur oder Keller unterkommen, sonst kannte von den Menschen, die er traf, immer jemand jemanden mit Schlafplatz. Und wenn nicht, fragte er die Pfarrer.
Von Neapel konnte er sich schwer losreißen, Fauci mochte den Irrsinn der Stadt, ihre Unkontrollierbarkeit. In Chianti kam er sich fremd vor, wie Pompeji verfällt hätte er lieber nicht gesehen, und in Salerno gern endlos Garnelen gegessen mit rotem Pfeffer, Zitrone und Öl.
Auf den Reisepass wartet er auch ein Jahr später; normal in Italien, meint Fauci, was soll’s: Dafür hat er sich in Crotone, bei Mama, wo es wie immer war, bisschen viel Müll, bisschen viel Staub, das Gefühl antrainiert, die Zeit dehnen zu können. Er wird nicht mehr unruhig, wenn er den Moment verpasst, der zum Schnappschuss wird. Es kommt ein nächster. ANNABELLE SEUBERT