: „Gasimporte sind die Achillesferse der EU“
ESKALATION Der Handel zwischen der EU und Russland ist überschaubar, ausgenommen Gas und Öl. Eine Erhöhung der Energiepreise, als Antwort auf die Sanktionen, schadet auch Moskau, sagt Handelsexperte Claus-Friedrich Laaser
■ Der 59-Jährige ist promovierter Volkswirt und forscht beim Kieler Institut für Weltwirtschaft zur Handelsintegration der Europäischen Union.
INTERVIEW HERMANNUS PFEIFFER
taz: Herr Laaser, Sanktionen kennen nur Verlierer, meint Wladimir Putin. Sein Außenministerium spricht von „kommunizierenden Röhren“, die Europas Wirtschaft in Ost und West aneinander koppeln. Wie abhängig ist Deutschland von Russland?
Claus-Friedrich Laaser: Wenn wir uns die amtlichen Außenhandelszahlen anschauen, dann ist bei den deutschen Exporten Russland nicht unter den Top Ten. Mit einem Anteil von 3,3 Prozent liegt es auf Platz 11. Das entspricht 36 Milliarden Euro. Bei den Importen ist Russland mit 4,5 Prozent etwas weiter vorne.
Das sind doch – salopp gesprochen – Peanuts. Ist Deutschland im Vergleich zu Westeuropa nicht sogar besonders eng mit der russischen Wirtschaft verflochten?
Ja. In der EU insgesamt ist der Anteil der Exporte nach Russland noch niedriger: 2,6 Prozent. Bei den Importen ist es in etwa derselbe Anteil wie in Deutschland.
Auch sehr überschaubare Dimensionen.
In der Tat. Russland ist zweifelsohne ein wichtiger Partner, aber eben nicht der wichtigste Partner. Wichtigster Abnehmer für deutsche Produkte 2013 war Frankreich, mit einem knapp dreimal so großen Anteil. Dann kommen die USA, Großbritannien, die Niederlande, China. Selbst die Schweiz, Österreich oder Belgien liegen noch vor Russland.
In einzelnen Branchen könnte es dennoch Probleme geben.
Das muss man sehr differenziert sehen. In einer Studie haben wir die Branchen untersucht, die einen überproportionalen Russlandanteil haben. Die Zweige mit den höchsten Anteilen gehören nicht zu den zentralen Bereichen der deutschen Wirtschaft.
Welche Bereiche wären das?
Zum Beispiel „Tierische Fette und Öle“. Umgekehrt exportieren Deutschlands Industrie-Schwergewichte durchaus überproportional nach Russland, etwa der Straßenfahrzeugbau und Teile des Maschinenbaus. Dort liegt der Russlandanteil an allen Ausfuhren der Firmen dann bei 3,3 bis 6 Prozent. Die Schwergewichte sind aber alle Global Player, die auch anderswo in der Welt Absatz finden. Allerdings entstehen dann zusätzliche Kosten für die Gewinnung neuer Kunden.
Die von Lobbyisten wie dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft befürchteten 25.000 Arbeitsplätze, die in Gefahr seien, scheinen doch übertrieben.
Kosten wird es geben, aber auch Anpassungsstrategien.
Für ganze Branchen ist das Wettdrohen mit Russland also wenig bedrohlich. Es sind also nur einzelne Firmen, die unter den Sanktionen leiden werden.
Ja, für einzelne Firmen, die sich sehr stark in Russland exponiert haben, könnte es existenzbedrohend werden. Aber unterm Strich gilt: Es wäre alles weit schlimmer, wenn die jetzige Auseinandersetzung nicht mit Moskau, sondern beispielsweise mit China geführt würde.
Wir befinden uns ja noch gar nicht in einer „heißen“ dritten, vierten oder fünften Stufe der Eskalation, sondern erst in der Stufe zwei, einige Rüstungsprodukte und staatliche Banken sind betroffen. Selbst hier gibt es Ausnahmen wie die russischen Großbanken VTB und Sberbank, die mit Genehmigung der EU-Kommission und auf Betreiben Österreichs verschont bleiben. Moskau konterte diese EU-Symbolpolitik mit dem Hinweis, dass eine weitere Zuspitzung zu höheren Energiepreisen führen würde.
Speziell die Gasimporte sind eine Achillesferse der EU. Was aus der sogenannten Leitungsgebundenheit folgt: Lieferant und Abnehmer sind nun mal über eine Pipeline engstens miteinander verbunden. Diese Abhängigkeit ist für beide Seiten gegeben. Russland exportiert sein Gas vor allem in die westlichen Industriestaaten, die Hälfte geht in die EU. Alternativen, etwa eine neue Pipeline in Richtung China – in der Praxis ein sehr schwieriger Handelspartner, der auf Niedrigstpreise aus ist –, sind in Moskau bislang nur angedacht und könnten frühestens 2018 realisiert werden. Zudem sind der russische Staatshaushalt, die sozialen Sicherungssysteme und der öffentliche Dienst inklusive Militär auf die Exporteinnahmen angewiesen.
Sie haben sich auch die russische Handelsstatistik angeschaut.
70 Prozent der russischen Exporte in alle Welt bestehen aus Erdöl, Gas und Kohle. Russland ist ein Rohstoffexporteur.
Das heißt doch, dass Russland und somit der Staatshaushalt Präsident Putins existenziell von dem Verkauf ihrer Rohstoffe in die EU abhängen.
Darum haben die beiderseitigen Geschäfte bislang auch jahrzehntelang geklappt, selbst wenn man sich mal nicht so grün war. Es ist bis heute ein Austausch von Rohstoffen gegen Technologie.
Ein „Aus“ der russischen Energielieferungen an den Westen, schreiben auch die Analysten der Deutschen Bank, hätte „einen sehr hohen Preis für Russland selbst“. Der größere Verlierer wäre also Putins Reich.
Das müsste man zumindest auf lange Sicht so sehen. Dazu kommt, wie auch eine Länderstudie des Internationalen Währungsfonds kürzlich zeigte, dass solch ein einseitiges Rohstoff-Geschäftsmodell heute nicht mehr so funktioniert wie früher und Russland dringend einen Strukturwandel benötigt. Für diesen Strukturwandel sind westliche Investitionsgüter notwendig. Dazu benötigt Russland seine Einnahmen aus Rohstoffexporten nach Europa.