: Der Spion, mit dem die Kälte kam
„Der Gute Hirte“ von Robert de Niro erzählt vom Paten des CIA
In seine Gegenwart frösteln sogar die Spione, die aus der Kälte kommen! Edward Wilson ist ein erbarmungslos korrekter Angestellter, er vertraut niemandem, wittert überall Verrat und Intrigen, ist also der perfekte Geburtshelfer für den CIA. In dem über zweieinhalb Stunden langen „Der Gute Hirte“ wird die Geschichte des amerikanischen Geheimdienstes von den Anfangstagen in den späten 30er Jahren bis zur misslungenen Invasion Kubas in der Schweinebucht erzählt. Francis Ford Coppola ist nicht umsonst einer der Produzenten des Films und wollte ihn ursprünglich selber inszenieren. Dies ist, sowohl von den Dimensionen wie auch vom Anspruch her, ein „The Godfather“ des Geheimdienstes. Erzählt wird mit einem ähnlichen episch langen Atem und es wird mit dem Umweg über eine Familiengeschichte amerikanische Geschichte mythologisiert. Nun ist der CIA nicht so barock wie die Mafia, und so ist dies eine protestantische Version von „Der Pate“ geworden. Nach dem eher intimen „The Bronx Tale“ ist dies erst die zweite Regiearbeit von Robert De Niro, und man kann nur darüber staunen, die souverän er dieses Schwergewicht von einem Film gestemmt hat.
Der Film beginnt mit einem Geheimnisverrat: 1961 wissen die Kubaner im voraus, dass die Amerikaner sie in der Schweinebucht angreifen wollen. Es gibt also eine undichte Stelle im CIA. Dessen Leiter Edward Wilson bekommt ein unscharfes Foto und eine verzehrte Tonbandaufnahme zugespielt, und im Laufe des Film werden diese Beweisstücke immer genauer untersucht und entschlüsselt. Auf einer zweiten Erzählebene wird chronologisch die Karriere von Wilson nachgezeichnet, dessen reales Modell der paranoide Chef des CIA zwischen 1954 und 74 James Angleton ist. Als Absolvent der Yale Universität ist Wilson wie schon sein Vater Mitglied des elitären Geheimbundes Skull and Bones, aus dessen Reihen sich in den 30er Jahren eine amerikanische Spionagegruppe entwickelt. Wilson steigt schnell in deren Hierarchie nach oben. Eine seiner Bewährungsproben besteht er im London des zweiten Weltkriegs und wenn er im Berlin der Nachkriegsjahre den Beginn des Kalten Krieges miterlebt, ist er schon einer der wichtigsten Männer im neugegründeten CIA.
Diese Kapitel inszeniert De Niro jeweils im Stil der Agentenfilme jener Ära. Das London des zweiten Weltkriegs ist fotografiert wie in einem der frühen britischen Hitchcockthriller, im Berlin nach 45 würde sich (neben Martina Gedeck in einer schönen Nebenrolle) auch der „Dritte Mann“ von Carol Reed zuhause fühlen, und die verzwickten Intrigen mit Doppel.- und Trippelagenten erinnern an die Verfilmungen der John le Carre Romane in den 60ern.. Der Film ist voller historischer Anspielungen, und weil er zudem dramaturgisch meist mit Requisiten arbeitet, muss man auch genau darauf achten, wo und wann ein Marienkreuz, ein Hörgerät, ein Buch oder das winzige Modell eines Segelschiffs genau zu sehen sind. Dennoch gelingt es De Niro, den großen Spannungsbogen bis zum Ende des Films zu halten, weil er sich nicht verzettelt und nie den Fokus auf Edward Wilson verliert.
Dass dieser, der sich als der oberste Hirte seines Landes sieht, seine eigene Familie nicht schützen kann, ist die tragische Ironie des Films. Dieses eine Mal ist es ein Vorteil, dass Matt Damon ein eher blasser Darsteller mit wenig Ausstrahlung ist, denn den freudlosen Angestellter gibt er viel überzeugender als den Superagent in den Bourne-Filmen. Nur Angelina Jolie ist als seine verhärmte Ehefrau mit grauen Haaren eine Fehlbesetzung.
Wilfried Hippen