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Archiv-Artikel

Grüne üben Selbstkritik in Sachen Hartz IV

Parteispitze plädiert für Korrekturen bei der umstrittenen Reform. Nachbesserungen seien ohnehin geplant gewesen

BERLIN taz ■ Für die Grünen war gestern der Moment gekommen, sich einer, wie Parteichef Reinhard Bütikofer zugab, „kritischen Selbstreflexion“ zu unterziehen. Eine „Evaluierungs-AG“ zu den Hartz-IV-Reformen stellte ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit vor. „Im Kern sind wir zu der Auffassung gekommen: Eine Abkehr wäre falsch. Es gibt aber Korrekturbedarf“, so Bütikofer. Dies sei übrigens von Anfang an klar gewesen. Man habe aber die Reform als Ganzes nicht gefährden wollen und darauf gehofft, später nachbessern zu können. Dazu kam es nicht mehr, weil die Regierung abgewählt wurde.

Von Anfang an umstritten war beispielsweise die Anrechnung der Partnereinkommen. Schon 2002 gab es Bedenken, dass Frauen dadurch stärker in die Abhängigkeit ihrer Männer geraten. Dennoch habe die Fraktion der Grünen dies letztlich „relativ widerspruchslos“ hingenommen, kritisiert der sozialpolitische Sprecher Markus Kurth, der 2003 gegen die Reform stimmte. Man wollte schließlich später nachbessern. In der gestern vorgestellten Evaluierung nun wollen die Grünen „die Rolle der Frauen als abgeleitete Wesen beenden“. Hartz IV müsse daher unabhängig vom Einkommen des Partners gewährt werden.

Auch fordern die Grünen, die Höhe der staatlichen Leistungen müsse an steigende Kosten, etwa für das Heizen, angepasst werden. Dies gelte besonders bei Kindern. „Wenn der Regelbedarf für ein Mittagessen mit einem Euro angegeben wird, reicht das bei weitem nicht“, erklärte Brigitte Pothmer, arbeitsmarktpolitische Sprecherin und Mitglied in der Evaluierungs-AG. Die Grünen wollen deshalb „Sachleistungen“ wie früher bei der Sozialhilfe wieder einführen. Dazu könnte die Übernahme der Kosten für Lernmittel, Schulmahlzeiten, Sport, Musikschule und Bibliotheken gehören.

Für andere „Nachbesserungen“ ist die Notwendigkeit erst seit Inkrafttreten von Hartz IV 2005 deutlich geworden. War man damals optimistisch davon ausgegangen, mit Fördern und Fordern allen Menschen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt verschaffen zu können, sehen die Grünen dies heute realistischer. „Wir brauchen mehr Angebote für Arbeitssuchende, die auf unabsehbare Zeit nicht in den ersten Arbeitsmarkt integrierbar sind“, heißt es in der Evaluierung. Für diese Gruppe von etwa 400.000 Langzeitarbeitslosen sollen öffentlich finanzierte sozialversicherungspflichtige Stellen geschaffen werden.

„Jede Selbstkritik ist willkommen“, kommentierte gestern Linksfraktionschef Gregor Gysi süffisant die Reflexion der Grünen. „Leider nutzt sie den Betroffenen jetzt nichts mehr.“ Ähnlich äußerte sich der Bündnisgrüne Werner Schulz: „Im Nachhinein bringt es wenig, zu merken, es war falsch. Man hat die Chance, es besser zu machen, wenn man selbst regiert.“

KATHARINA KOUFEN