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Archiv-Artikel

Tod in den Flammen

Heute ist Internationaler Tag gegen Gewalt gegen Frauen. Die meisten Frauen in Afghanistan haben davon nie gehört. Männliche Gewalt treibt unzählige in den Suizid – oft verbrennen sie sich selbst

VON ANETT KELLER

Die Bilder gleichen sich: in Binden gewickelte Körper, aus denen herausschaut, was einmal ein Gesicht war. Eine rotbraune Masse dessen, was die Flammen übrigließen. Wie lebende Leichen liegen sie in ihren Betten, und in den meisten Fällen sind sie es auch. „Feuertod“ hieß eine vielbeachtete Reportage von Antonia Rados, die kürzlich im RTL-Fernsehen zu sehen war. RTL – sonst weniger für hintergründige Dokumentionen bekannt – hat mit der Ausstrahlung keinen Einzelfall mit Gruselfaktor hochstilisiert. Gololai, deren Sterben Rados dokumentierte, war eine von hunderten Frauen, die sich jährlich in Afghanistan mit Brennstoff übergießen und selbst anzünden.

Häufigste Suizidmethode

In den afghanischen Provinzen ist die Selbstverbrennung die am häufigsten gebrauchte Suizidmethode. Vor allem Frauen versuchen, sich auf diese Weise umzubringen. Laut einer kürzlich von der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale vorgestellten Studie gab es in Kabul und der westafghanischen Provinz Herat zwischen Mai und Juli dieses Jahres über 100 Fälle von Selbstverbrennung. 82 Prozent der Opfer starben. Die Dunkelziffer wird auf ein Vielfaches geschätzt. „Die Fälle, über die wir etwas wissen, sind nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Angeles Martinez, Projektleiterin von Medica in Afghanistan. Suizid ist ein Tabuthema. Um die Familienehre zu retten, verschweigen viele Angehörige den Feuertod. Daher bleiben die Gründe im Dunkeln. Medica hat mit über 100 Überlebenden und Familienmitgliedern von Opfern gesprochen. Die Ursachen, so die Organisation, lägen in der massiven psychischen und physischen Gewalt, der Frauen in Afghanistan ausgesetzt sind. Archaische Traditionen machen Frauen zur Ware: Sie werden gegen Geld oder Güter getauscht oder als Entschädigung für begangene Verbrechen „übergeben“.

„Badla“ heißt die traditionelle Konfliktbeilegung, bei der die Täterfamilie der Opferfamilie ein Mädchen übergibt. Zwangsheiraten in der Tradition des „Badla“ oder aus Geldgründen sind eine der Hauptursachen für spätere Suizidversuche von Frauen. Bis zu 80 Prozent der Ehen in Afghanistan sind Zwangsehen, schätzt die dortige Menschenrechtskommission. Über die Hälfte der Bräute sind unter 16 – ihre Männer meist wesentlich älter.

Warum wählt ein Mensch, der sich umbringen will, eine derart qualvolle Methode? „Den Frauen geht es um einen letzten Akt der Selbstbestimmung. Sich selbst zu verbrennen ist auch eine Art Rache an ihrer gewalttätigen Umwelt“, sagt die Ärztin Hafiza Azimi. Die Exilafghanin arbeitet derzeit für Medica in Kabul und betreut traumatisierte Frauen psychologisch. Die Wahl der Selbstverbrennung spiegele aber auch in zweifacher Weise die ausweglose Situation der Frauen, so Hazimi. Sie wollen sterben, weil sie Opfer von Gewalt und Fremdbestimmung sind. Und sie übergießen sich mit dem Brennstoff des Kochers und zünden sich an, weil ihnen als Gefangene im eigenen Haus kaum andere Mittel zur Verfügung stehen.

Katastrophale Zustände

Wer nicht sofort seinen Brandwunden erliegt, stirbt qualvoll innerhalb von Stunden oder Tagen. Die Überlebenschancen könnten höher sein, würden die Frauen schneller in Krankenhäuser gebracht und wäre die medizinische Situation dort besser. Selbst im Krankenhaus im westafghanischen Herat, wo es zumindest eine Station für Brandopfer gibt, sind die Zustände katastrophal. Die Verwandten müssen Verbände und Medikamente mitbringen. Angeles Martinez hat das Krankenhaus besucht und eine völlig überfüllte Brandopfer-Abteilung vorgefunden. „Der Arzt sagte mir, er habe gerade drei Frauen nach Hause geschickt. Nicht weil sie auf dem Weg der Besserung waren. Sie waren zu stark verbrannt, um zu überleben.“

Für die wenigen Überlebenden gibt es kaum Orte, an denen sie bleiben können. „Die Verwandten sagen: ‚Die war nicht mal des Todes würdig‘, berichtet Azimi. Der jahrzehntelange Krieg in Afghanistan hat ein Land von Traumatisierten hervorgebracht. „Alle, die zu mir in die Sprechstunde kommen, haben Suizidgedanken.“

Vor fünf Jahren priesen die First Ladies der USA und Großbritanniens die unmittelbar bevorstehende Befreiung der Afghaninnen, während ihre Männer Soldaten ins Land schickten, um dort die Taliban zu vertreiben. Zwar sitzen in Kabul jetzt Frauen im Parlament, und es gibt für sie ein eigenes Ministerium. Doch vor allem in den Provinzen haben Frauen keinerlei Rechte. Schläge von männlichen Verwandten gelten ihnen als gerechte Strafe. Trennt sich ihr Mann von ihnen, bleiben die Kinder bei ihm. Werden sie vergewaltigt, bezichtigen sie die Richter der Unzucht. 70 Prozent der afghanischen Männer und 85 Prozent der afghanischen Frauen wissen nicht, dass der Islam auch Frauen Rechte zugesteht, schreibt die britische Organisation Womenkind Worldwide in ihrem Bericht „Taking Stock: Afghan Women and Girls five years on“. Den Hilfsorganisationen mangelte es an wirksamen Programmen, um afghanische Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen.

Bei Bildung – neun von zehn Afghaninnen können weder lesen noch schreiben – und Rechtssicherheit müsse man ansetzen, da sind sich die Hilfsorganisationen einig. Auf einer Konferenz zum Thema Selbstverbrennung, die letzte Woche in Kabul stattfand, versprachen Gesundheits- und Justizministerium, sich des Themas stärker anzunehmen. Hilfsorganisationen wollen Frauen mit dem Aufbau von Frauenhäusern und mit psychologischer Beratung besser unterstützen.

Die Ärztin Azimi sieht zwar einen Fortschritt darin, dass heute überhaupt über die Lage gesprochen wird. Andererseits, sagt Azimi nachdenklich: „Es wird viel über mehr Rechte für Frauen gesagt und geschrieben. Aber was davon umgesetzt wird, steht in den Sternen.“