: Nachbarschaftshilfe unwahrscheinlich
ARABIEN Die arabischen Staaten sind sich in Sachen Libyen uneins. Und sie sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass mit ihnen zu rechnen wäre
AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY
Wie steht die Arabische Welt zum Gaddafi-Regime? Würde sie eine militärische Intervention gutheißen, gar logistisch unterstützen? Ob die EU, die Nato, die USA oder der UN-Sicherheitsrat – alle verbinden in diesen Tagen ihr weiteres Vorgehen nicht zuletzt mit dieser Frage.
Am Donnerstag sprach der Golf-Kooperationsrat, dem die sechs Staaten der Arabischen Halbinsel angehören, dem Gaddafi-Regime jede Legitimität ab und rief die Arabische Liga dazu auf, das Blutvergießen in Libyen zu beenden sowie Kontakt zu den Aufständischen aufzunehmen. „Wir unterstützen auch eine Flugverbotszone“, sagte Jassem Ben Jaber, der Außenminister von Katar und forderte den UN-Sicherheitsrat auf, Verantwortung zu übernehmen.
Aber zuerst muss die Arabische Liga Verantwortung übernehmen oder besser gesagt: sich auf eine Position einigen, wenn sich ihre Außenminister am Samstag in Kairo treffen. Und das dürfte schwierig werden. Die direkten Nachbarn Libyens, Tunesien und Ägypten, wiederum sind derzeit zu sehr mit sich selbst und den Nachwehen oder der Fortdauer ihrer Revolutionen beschäftigt. Gerade Ägypten erlebt eine Art Konterrevolution, wie es der neue Ministerpräsident Essam Scharaf ausdrückt, der von systematischen Versuchen spricht, die Strukturen des neuen ägyptischen Staates zu zerstören. Bei Auseinandersetzungen zwischen Kopten und Muslimen gab es in Kairo dieser Woche mindestens 13 Tote und 160 Verletzte. Viele Ägypter machen dafür die alte Staatssicherheit verantwortlich.
Zudem sorgt sich die Regierung, dass eine eventuell mit ägyptischer Hilfe eingerichtete Flugverbotszone die Evakuierung der über eine Million in Libyen lebenden Gastarbeiter komplizieren könnte. Die Sympathien der ägyptischen Bevölkerung indes gelten zweifelsohne den Aufständischen: Auf der Straße nach Bengasi trifft man einen ägyptischen Hilskonvoi nach dem anderen. In den Krankenhäusern der libyschen Rebellenhauptstadt Bengasi arbeiten zahlreiche ägyptische Ärzte, und selbst unter den aufständischen Kämpfern finden sich junge Leute aus Ägypten.
Auch für die Golfstaaten ist die Libyenfrage keine ganz einfache, selbst wenn sie mit dem Gaddafi-Regime nie eine innige Beziehung unterhalten haben. Das saudische Regime ließ erst am Donnerstag im Osten des Landes selbst das Feuer auf Demonstranten eröffnen, so wie zuvor auch der König von Bahrain einen brutalen Einsatz seiner Polizei gegen Demonstranten angeordnet hatte. Unter noch größerem Druck der Demokratiebewegung steht Jemens Herrscher Abdallah Saleh.
Noch eindeutiger verhält es sich in Algerien und Syrien. „Syrien bestätigt seine Ablehnung jeder Art ausländischer Einmischung in die libyschen Angelegenheiten“, heißt es in einer Erklärung des Außenministeriums. Ebenso wie das algerische fürchtet das syrische Regime, als nächstes Land von revolutionären Unruhen erfasst zu werden.
So ist es unwahrscheinlich, dass die Bewältigung der Libyenkrise ausgerechnet von den arabischen Staaten ausgehen wird. Diese sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt: Entweder damit, eine Revolution im eigenen Land zu verhindern, oder damit, die Revolution voranzubringen und die Verhältnisse neu zu gestalten.