„Das Grundeinkommen schafft Vertrauen“

Würde ein bedingungsloses Grundeinkommen dazu führen, dass viele sich einfach nur hängen lassen? Nein, meint der Arbeitssoziologe Günter Voß. Es wäre vielmehr die Basis für ein sinnvolles, selbstverantwortliches Leben

taz: Herr Voß, wenn morgen alle Menschen ein Grundeinkommen von monatlich 800, 1.000 Euro bekämen, würde dann noch jemand einen Finger krumm machen?

Günter Voß: Ein Grundeinkommen abrupt einzuführen, wäre sicher problematisch. Ein solcher Schritt müsste gesellschaftspolitisch flankiert werden. Ich vertrete aber ein positives Menschenbild und bin sicher, dass Menschen auch ohne Druck etwas aus ihrem Leben machen.

Wir alle funktionieren aber doch nach verinnerlichten Systemen der Anerkennung und Belohnung. Und da spielt die bezahlte Arbeit eine entscheidende Rolle. Deswegen werden Hartz-IV-Empfänger ja häufiger depressiv als andere Menschen.

Wenn Arbeitslose heute depressiv werden, dann deswegen, weil sie sich ausgeschlossen fühlen, weil man ihnen signalisiert, dass sie überflüssig sind. Genau diese negative Botschaft gäbe es bei einem Grundeinkommen für alle aber nicht. Vielmehr würde man ihnen eine Basis bieten, sich ein sinnvolles Leben aus eigener Kraft aufzubauen.

Wie könnte das aussehen? Machen dann alle Menschen Videoprojekte oder legen einen eigenen Garten an?

Möglicherweise auch dies. Aber auch ein Soziologe, der ein Karrierecoaching aufbaut, oder ein Handwerker, der eigene Möbel entwirft, könnte profitieren, wenn sie für eine Übergangsphase ein Grundeinkommen erhalten. Es ist ja kein Zufall, dass die finanzielle Förderung der Ich-AG relativ erfolgreich war.

Dann wäre das Grundeinkommen nur eine Übergangsphase im Leben?

Für viele Menschen, ja. Das Grundeinkommen könnte die Menschen entlasten im Übergang zum Beruf, während einer Familienphase, im Vorruhestand, während einer Weiterbildungszeit. Aber es gäbe auch Gruppen, die dauerhaft darauf angewiesen wären.

Aber würde ein solches Grundeinkommen die Menschen nicht spalten in jene, die aus sich selbst heraus ihr Leben gestalten können und jene anderen, die einfach nur immer tiefer abhängen würden?

Diese Spaltung gibt es doch jetzt schon, und zwar auf dem Jobmarkt. Wer sich nicht selbstständig vermarkten kann, hat schlechte Karten. Die Zukunft der Arbeit liegt aber bei Menschen, die sich aus einer inneren Motivation heraus betätigen können. Dies würde durch ein Grundeinkommen gefördert.

In den 70er und 80er Jahren gab es in Westberlin und Amsterdam eine kreative Szene, die ganz selbstverständlich von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe lebte. Vielen fällt es dann aber doch schwer, sich irgendwann mal in ihrem Leben an einem Markt zu orientieren und Arbeitsunlust zu überwinden. Würde diese Unfähigkeit durch ein Grundeinkommen nicht fatal gefördert?

Aus diesen Szenen, die sie beschreiben, ist ja viel Kreatives entstanden. Es mag aber Gruppen geben, bei denen Sozialisationsnachteile überwiegen, die im gesellschaftlichen Aus gelandet sind und vielleicht damit überfordert wären, ihr Leben von heute auf morgen selbst in die Hand zu nehmen. Da darf man nicht naiv sein. Man müsste flankierende Maßnahmen anbieten.

Sie spielen auf die Unterschichtdebatte an. Aber lässt gerade diese Debatte nicht befürchten, dass die Menschen, die auf dem normalen Jobmarkt ihr Geld verdienen, ständig misstrauisch oder gar neidisch gegenüber jenen wären, die dieses Grundeinkommen ohne Arbeit bekommen?

Mit dem Grundeinkommen wäre ja kein Luxusleben möglich. Die Menschen in der Erwerbsarbeit wären immer privilegiert, finanziell, von den Aufstiegsmöglichkeiten her. Diese Abstufung würde ja bleiben.

Aber wäre ein Grundeinkommen nicht eine grundlegende Verletzung der protestantischen Arbeitsethik, die angeblich die Erwerbsgesellschaft am Laufen hält?

Das ist ein verbreitetes Missverständnis. Die protestantische Arbeitsethik, wie sie der Soziologe Max Weber beschrieben hat, zielt ja eben gerade nicht auf einen Menschen ab, der allein durch materielle Belohnung motiviert ist. Vielmehr besteht diese Ethik in einem starken inneren Antrieb, in einer „Berufung“ zur Arbeit, auch ohne Bezahlung. Und genau dies ist heute mehr denn je gefordert und könnte durch ein Grundeinkommen gefördert werden. Ein Grundeinkommen würde den Menschen einen basalen existenziellen Schutz bieten, der ihnen Mut macht, flexibel neue Wege zu gehen. Und es würde dazu beitragen, dass Menschen wieder Vertrauen in unsere Gesellschaft bekommen.

INTERVIEW: BARBARA DRIBBUSCH