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Archiv-Artikel

Die vermutlich letzten Gefechte

ISRAEL Armee zieht Truppen im Gazastreifen zurück. Tunnel werden weiter zerstört. Verhandlungen über Waffenstillstand lehnt Israel ab. Opferzahl steigt auf 1.740

„Beirut war ein Tropfen im Ozean, verglichen mit Gaza“

RON BEN-ISCHAI, MILITÄRANALYST

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

In der palästinensischen Grenzstadt Rafah, ganz im Süden des Gazastreifens, finden die vermutlich letzten Gefechte des Krieges statt. Denn Israel hat am Sonntag den schrittweisen und einseitigen Truppenrückzug begonnen. „Wir organisieren die Militärkräfte neu“, hatte Regierungschef Benjamin Netanjahu am Vorabend angekündigt. Die Truppen sollen in einer Sicherheitszone entlang der Grenze konzentriert werden, wo weiter nach geheimen Tunneln gesucht werden soll.

Was die Öffentlichkeit zum Zeitpunkt von Netanjahus Pressekonferenz noch nicht wusste, ist, dass der zunächst als entführt geltende Soldat Hadar Goldin tot ist. Er ist offenbar noch unmittelbar während des Überfalls am Freitagmorgen in der Grenzregion bei Rafah gestorben, als sich ein militanter Palästinenser mithilfe eines Sprengstoffgürtels selbst in die Luft jagte (taz berichtete). Aus Rücksicht auf die Familie, so hieß es, gab die Armee öffentlich keine Auskunft über die Beweise für den Tod des 23-jährigen Leutnants. Fest steht aber, dass noch am Sonntagnachmittag zumindest einige seiner sterblichen Überreste beerdigt wurden.

Israel hat sich für einseitige Schritte entschieden, nachdem die Hamas am Freitag den ursprünglich auf drei Tage festgelegten Waffenstillstand bereits nach wenigen Stunden gebrochen hatte. Beide Seiten hatten zuvor dem Druck der USA und den Vereinten Nationen nachgegeben. Die Hamas-Operation am Freitagmorgen sei jedoch langfristig geplant gewesen, erklärten israelische Militärs. Die Hamas habe der Feuerpause zugestimmt wohlwissend, dass sie sich nicht daran halten werde.

Gestern kündigte Hamas-Sprecher Fausi Barhum in Gaza an, dass „der Widerstand fortgesetzt wird, bis wir unsere Ziele erreichen“. Dazu gehört in erster Linie das Ende der Gazablockade und die Amnestie Dutzender Hamas-Aktivisten. Die islamistischen Kämpfer der Issedin al-Kassam schossen erneut Raketen auf Israel ab. Am Nachmittag gab es in Tel Aviv Raketenalarm.

Dennoch nähert sich die Bodenoffensive ihrem Ende. Israels Militärs sind sich einig, dass die Truppen in Gaza kaum noch etwas ausrichten können. Auf Raketenangriffe der Hamas werden Luftwaffe und Marine reagieren.

Die Teilnahme an Verhandlungen über ein langfristiges Waffenstillstandsabkommen hat Israel derweil abgesagt. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hatte am Samstag an alle Parteien appelliert, an Verhandlungen in Kairo teilzunehmen. Doch der Einladung folgten nur Delegationen der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland sowie der Hamas und des Islamischen Dschihad.

Die palästinensische Nachrichtenagentur Maan berichtete von erneut 37 Todesopfern bis gestern Nachmittag. In Rafah geriet erneut eine UN-Schule unter Beschuss. Die Zahl der während des Krieges im Gazastreifen getöteten Palästinenser stieg auf 1.740 Menschen. Fast 10.000 Verletzte sind noch in den Krankenhäusern, und rund ein Drittel der insgesamt 1,8 Millionen Menschen im Gazastreifen sind aus ihren Häusern geflohen. Außerdem sollen über 10.000 Gebäude komplett oder teilweise zerstört sein, viele mehr benötigen dringende Reparaturen.

Netanjahu hatte angekündigt, den Wiederaufbau des Gazastreifens erst dann zu ermöglichen, wenn es internationale Garantien dafür gebe, dass die Hamas entwaffnet werde. Israel will verhindern, dass die Baustoffe erneut für den Tunnelbau der Islamisten benutzt werden.

Der israelische Militäranalyst Ron Ben-Ischai reiste letzte Woche mit israelischen Truppen in den Gazastreifen. „Ich habe das Dahijeh-Viertel in Beirut gesehen, nachdem die [israelische] Luftwaffe dort 2006 angriff“, schreibt Ben-Ischai in Jediot Ahronot. „Das war ein Tropfen im Ozean, verglichen mit dem, was in Gaza passiert ist.“ Mindestens ein Jahr veranschlagt er, bevor „die Leute wieder ein Dach über dem Kopf haben, fließend Wasser und Abwassersysteme“.

UN-Sprecher Christopher Gunness bezeichnete die Situation als „am Rande des Zusammenbruchs“. Er warnte vor einer „Gesundheitskatastrophe“. Die Leichen, die aufgrund der fortgesetzten Kämpfe tagelang nicht beerdigt werden können, werden palästinensischen Informationen zufolge in Gemüsekühlschränken aufbewahrt.