: Kurz vor dem Wetterbericht
SERBISCHE LITERATUR Vom Radar verschwunden und dennoch existent: neue Romane der Autoren Albahari, Cosic, Ugricic und Végel
VON DORIS AKRAP
Für die Literatur eines Landes ist es besser, wenn die innenpolitischen Schlagzeilen nicht auf den vorderen Seiten der Weltpresse, sondern in der Nähe von deren Wetterbericht zu finden sind. Denn wenn in diesem Land Krieg, Aufstand oder andere politische Turbulenzen herrschen, werden die Schriftsteller und Dichterinnen gerne als unabhängige Informationsquelle darüber gelesen, wie brutal der Chauvinismus, wie unerbittlich der Nationalismus, wie eingeschränkt die Meinungsfreiheit oder wie borniert die Intellektuellen sind. Serbische Schriftsteller hatten dieses Problem lange Zeit. Doch Dragan Velikic, Autor und ehemalige Botschafter Serbiens in Österreich, glaubt, da Serbien vom Radar der Weltöffentlichkeit verschwunden ist, haben die Literaten des Landes auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse eine gute Chance, in ihrer Vielfalt wahrgenommen zu werden. Literatur aus Serbien ist in Leipzig dieses Jahr ein Schwerpunkt.
Eine charmante Idee von Velikic, aber hat das serbische Kulturministerium diese Chance auch genutzt? Ab Donnerstag präsentiert Serbien über 40 Autoren und ein opulentes Veranstaltungsprogramm. Nationalismus und Kriegsverbrechen sind dabei ebenso Thema wie der Comic-Underground aus den 1980er Jahren und die junge alternative Kultur- und Literaturszene Serbiens heute. Doch das Programm täuscht, sagt Dragan Dedovic, ein in Köln lebender serbischer Autor, der im Dezember seinen Job als Koordinator des Schwerpunkt-Programms gekündigt hat. Noch kurz vorher hatte er in der Neuen Rundschau des S. Fischer Verlags eine Anthologie herausgegeben, in der er Auszüge aus Erzählungen und Gedichten junger, hierzulande völlig unbekannter Schriftsteller zusammengestellt hat, die einen wirklichen Einblick in die unbekannte, junge serbische Literatenszene bietet. Doch Dedovic störte das „private, intransparente und eigennützige Verhältnis wesentlicher Verantwortlicher hinsichtlich der Planung und Verwirklichung“ des Leipziger Projekts so sehr, dass er nicht länger etwas machen wollte, was seiner Meinung nach „der serbischen Literatur alles andere als zuträglich“ sei.
Wo sind die Frauen?
Dass bei den Entscheidungen, welche Autoren übersetzt werden, wer zur Messe reisen oder wer mit wem öffentlich über was sprechen darf, nicht nur nach künstlerischen Kriterien vorgegangen wird, ist sicher nicht nur im Fall Serbien so. Aber auch ohne genau zu wissen, was sich hinter den Kulissen abspielte, ist zumindest eines mehr als auffällig: Sämtliche der zwölf für das Frühjahrsprogramm übersetzten serbischen Romane stammen ausschließlich von männlichen Autoren der älteren und mittelalten Generation. Dabei hatte Dedovic noch im Herbst festgestellt, dass der „moderne Dreiklang der serbischen Literatur aus Urbanität, Pluralität und Frauenperspektive“ bestehe. Und die serbischen Autorinnen hätten es wahrlich verdient, übersetzt zu werden. Bereits vor zwei Jahren konnte das deutschsprachige Publikum mit dem vom Suhrkamp Verlag publizierten Clubberinnen-Roman „Ausgehen“ der 1980 geborenen Barbi Markovic Einblick in die junge Popliteratur des Landes erhalten. Man hätte davon gerne mehr gelesen, doch außer in fünf Gedichtbänden finden sich lediglich in der Anthologie serbischer Kurzprosa „Der Engel und der rote Hund“, die Angela Richter, Professorin für Südslawistik an der Uni Halle, herausgegeben hat, Schriftstellerinnen.
Doch nicht nur von den Frauen, sondern auch von jüngeren, unbequemen Autoren wie Vladimir Arsenijevic wurde kein Titel übersetzt. Sein Debüt „Cloaca Maxima“, eine kompromisslose Abrechnung mit der serbischen Politik und Gesellschaft unter Milosevic, machte ihn 1994 auf einen Schlag nicht nur im ehemaligen Jugoslawien zu einem Shootingstar. Der 1965 Geborene gehört mit dieser Erzählung zu einem der meistübersetzten serbischen Schriftsteller überhaupt. „Cloaca Maxima“ wurde in Deutschland 1996 publiziert, doch seitdem hat sich kein deutscher Verlag mehr für seine weiteren schriftstellerischen Arbeiten interessiert. Immerhin kommt Arsenijevic auch nach Leipzig und zwar mit seinem „Krokodil“, abgekürzt für Knjievno Regionalno Okupljanje Koje Oklanja Dosadu I Letargiju (Regionales Literaturtreffen gegen Langeweile und Lethargie), mit dem er jungen Autoren aus dem ehemaligen Jugoslawien ein Forum bietet. Ein Forum erhält am serbischen Stand der Nobelpreisträger Ivo Andric.
Ein Jugoslawe als Serbe
Der 1975 gestorbene Autor schrieb 1945 den wohl berühmtesten jugoslawischen Roman „Die Brücke über die Drina“, immer noch ein Muss, für jeden, der die Geschichte Bosniens beziehungsweise des Landstrichs zwischen Orient und Okzident verstehen will. Aber Andric ein serbischer Autor? Er wurde im bosnischen Travnik geboren, wuchs in Sarajevo auf, studierte im kroatischen Zagreb, war Botschafter Jugoslawiens, Vorsitzender des jugoslawischen Schriftstellerverbandes und Abgeordneter des jugoslawischen Parlaments. Aber serbischer Schriftsteller?
„Alle Menschen sind ein bisschen Serben“, sagte der Autor Sreten Ugricic unlängst in einem Interview. Damit meinte er zwar nicht Andric, sondern wollte erklären, dass die serbische Literatur auch etwas Universelles zu sagen hat. Ugricic’ im Dittrich-Verlag erscheinender Roman „An den unbekannten Helden“ ist eine an Kafkas „Vor dem Gesetz“ geschulte Apokalypse. Angesichts des bevorstehenden 100-jährigen Jubiläums des Attentats von Sarajevo 1914 schwillt der Nationalismus derart an, dass der Einzelne zwischen nationalistischem Feuerwerk und Heldenpathos versinkt. In poetischen und philosophischen Fragmenten spielt Ugricic mit dem Namen des Attentäters Gavrilo Princip, um den Einen, der auf der Suche nach dem unbekannten Helden ist, zu der Erkenntnis zu führen, dass er weder diesen noch ein nationales Prinzip finden wird, da es einzig und allein um ihn selbst und seine Entscheidungen geht.
Universell ist auf jeden Fall auch, was der serbische Autor David Albahari zu sagen hat. In „Die Kuh ist ein einsames Tier“ versammelt er Miniaturen, die von Liebe, Hasenaugen, Cowboys, der Schönheit des Satzes und allem möglichen anderen handeln und die teilweise nur aus einem oder wenigen Sätzen bestehen. Sonderbar zufrieden fühlt man sich nach der Lektüre Albaharis, obwohl man eigentlich gerade in existenzielle Abgründe geschaut hat. Die Geschichte „Einsamkeit“ beispielsweise geht so: „Manchmal beim Gehen, begleiten einen viele Tiere.“ Und „Autobiographie“: „In halben Spiegeln sehen sie nur den unteren Teil ihres Körpers.“ Es muss an der Schönheit von Albaharis Sätzen liegen.
Ein Debütroman, den man unbedingt lesen sollte, sind die „Bekenntnisse eines Zuhälters“ von László Végel. Der erschien zwar bereits 1967, liegt nun aber zum ersten Mal auf Deutsch vor. Végel gehört zur ungarischen Minderheit in der Vojvodina, die Teil Serbiens ist. Sein Roman wurde zum Kultbuch im realsozialistischen Ungarn. Mit einer wunderbar leichten Ironie beschreibt er die desillusionierte damalige Jugend, die weder an Rebellion, Liebe noch Karriere glauben kann und sich deswegen prostituiert, um vom Leben wenigstens einen täglichen Orgasmus und ein paar Groschen mitzunehmen.
Auch Bora Cosic ist für seine bittere Ironie berühmt und auch von ihm gibt es Neues. Er hat sein Kultbuch „Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution“ von 1969 fortgeschrieben. Doch „Im Ministerium für Mamas Angelegenheiten“ erfahren wir nicht, welche Rolle die Familie, die aus der Perspektive des kleinen Sohnes naiv ironisch beschrieben wird, nach dem Tod von Tito und dem Zerfall Jugoslawiens spielte, sondern was sie in den 1940er Jahren über Russen, Radios und andere Gewerbetreibende dachte. Ist die jüngere Geschichte Serbiens so disparat, dass sie sich nicht mehr mit leichter Hand beschreiben lässt, oder ist Cosic der Gegenwart einfach ausgewichen? Serbische Autoren klagen oft über die Apathie und das Schweigen der Gesellschaft, die das Land lähme. Es wird also spannend, ob sich in Leipzig einige Autoren trauen werden, wirklich offen zu reden. So könnte die serbische Literatur tatsächlich von der Rolle neben dem Wetterbericht profitieren.
■ David Albahari: „Die Kuh ist ein einsames Tier“. Dt. v. K. u. M. Wittmann. Eichborn, Frankfurt a. M. 2011, 144 S., 16,95 Euro
■ Bora Cosic: „Im Ministerium für Mamas Angelegenheiten“. Dt. v. K. Wolf-Grießhaber. Folio, Wien Bozen 2011, 161 S., 22,90 Euro
■ Sreten Ugricic: „An den unbekannten Helden“. Dt. v. M. Dabic. Dittrich Verlag, Berlin 2011, 416 S., 17,80 Euro
■ László Végel: „Bekenntnisse eines Zuhälters“. Dt. von Lacy Kornitzer. Matthes & Seitz, Berlin 2011, 254 S., 19,90 Euro