: Union in Angst
ATOM Die Kanzlerin will eine Grundsatzdebatte verhindern. In der Partei hat sie aber Gegner
AUS BERLIN STEFAN REINECKE
Angela Merkel versucht den richtigen Ton zu treffen. Sie verstehe jeden, sagt Merkel am Samstagabend im Kanzleramt, der sich nach dem Unfall in dem japanischen AKW Sorgen mache. Aber es gebe in Deutschland keine direkte Gefahr, Japan sei weit entfernt. Sicherheit ist das Schlüsselwort ihrer kurzen Rede. Die Sicherheit der Bevölkerung stehe über allem, sagt sie. Sie will Ruhe ausstrahlen, aber nicht zu viel. „Die Geschehnisse in Japan sind ein Einschnitt für die Welt“, sagt sie. Deswegen könne man auch „nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“. Es gebe zu denken, dass dieser Unfall in einem Hochtechnologieland wie Japan möglich sei.
Angela Merkel hat es nicht so mit historischen Daten. Als die Mauer fiel, war sie in der Sauna. In der Finanzkrise war abwarten das Wort, das man am meisten von ihr hörte. Merkel, die Pragmatische, hat wenig Talent für historische Momente. Aber ist dies ein historischer Einschnitt, so wie Tschernobyl? Ein Datum, nach dem in der Atompolitik nichts mehr wie vorher ist?
Genau darum wird in der Union im Moment gerungen. Und Merkel, die im Herbst die Laufzeitverlängerung für die Atomindustrie durchgesetzt hat, will keine Grundsatzdebatte. Die Atomkraft als Brückentechnologie sei „verantwortbar und vertretbar“. Außerdem gebe es hierzulande keine vergleichbare Gefahr von Erdbeben und Flutwellen. Kurzum: Mit der Formel, dass man nicht zur Tagesordnung übergehen will, ist nicht die kritische Überprüfung der eigenen Politik gemeint – sondern das Gegenteil.
Merkel will Kühlsysteme deutscher Atomkraftwerke überprüfen lassen – das ist ihre Lehre aus Fukushima. Man muss aus dem Unfall die technischen Konsequenzen ziehen. Lernen durch Unfälle. So werden Autos und ICEs sicherer. Doch bei Atomtechnologie ist diese Idee eine Illusion.
Doch es gibt Risse in der schwarz-gelben Proatomfront. Umweltminister Norbert Röttgen will eine Grundsatzdebatte über die Zukunft der Kernenergie. Das Unglück in Fukushima sei eine „Zäsur“. Denn jetzt sei passiert, was immer als ausgeschlossen gegolten habe, so der Umweltminister in den ARD-„Tagesthemen“. Die Frage, ob die Risiken der Atomtechnologie vertretbar seien, müsse neu gestellt werden. Man müsse prüfen, ob man den Ausstieg aus der Kernenergie mittels „neuer regenerativer Energiequellen nicht beschleunigen“ könne.
Allerdings hat Schwarz-Gelb 2010 mit der Verlängerung der Laufzeiten für AKWs genau das Gegenteil getan und beim Ausstieg aus der Atomkraft kräftig auf die Bremse getreten. Röttgens Einfluss auf die Union in dieser Frage ist begrenzt. Als die längeren Laufzeiten beschlossen wurden, hatte der Umweltminister versucht, das Laufzeitplus gering zu halten und die Atombranche zu teuren Sicherheitsmaßnahmen gegen Flugzeugabstürze zu verpflichten.
Damit scheiterte er auf ganzer Linie. Auch an Angela Merkel.
Das wird dieses Mal kaum viel anders sein, glaubt der SPD-Politiker Karl Lauterbach. Der reine Technikcheck den Merkel will, sei „eine intellektuelle Zumutung“. „Jeder sieht doch, dass die Gefahren der Atomtechnologie nicht beherrschbar sind“, so Lauterbach zur taz. Merkel wolle die Debatte begrenzen, um die Wahl die Baden-Württemberg Ende März zu überstehen.
Allerdings werde Umweltminister Norbert Röttgen, so Lauerbach, mit dem Versuch, eine neue Grundsatzdebatte zu beginnen, scheitern. Denn die müsse zwangsläufig dazu führen, die schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung zu kippen – und wäre damit eine Brüskierung der Kanzlerin. „Gewinnt Röttgen, verliert Merkel“, so Lauterbach. „Röttgen weckt Hoffnungen, die er nicht erfüllen kann.“
Auch Bärbel Höhn, grüne Fraktionsvizechefin, ist skeptisch, ob Röttgen mit seinen Argumenten durchdringt. „Die Kräfte in Union und FDP, die für die Laufzeitverlängerung sind, werden versuchen die Debatte zu verschieben – bis die Ereignisse in Japan etwas in Vergessenheit geraten sind“, so Höhn zur taz.
Michael Fuchs, wirtschaftsnaher Fraktionsvize der Union, hatte schon direkt nach der Katastrophe die Proatomlinie gezogen. „Es ist nicht berechtigt“, so Fuchs, „aus den Ereignissen in Japan Rückschlüsse auf die Nutzung der Kernenergie in Deutschland zu ziehen.“
Ende der Debatte.