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Archiv-Artikel

„Es ist einfach dämlich“

Die Regisseurin Li Yu über ihren Film „Lost in Beijing“ und die Forderungen der chinesischen Zensur

INTERVIEW SUSANNE MESSMER

taz: Frau Li, es hieß in den Medien, Chinas Zensurbehörden hätten die Vorführung Ihres Films „Lost in Beijing“ nur unter der Bedingung genehmigt, dass Sie fünf Szenen herausschneiden.

Li Yu: Fünf Szenen? Sie haben mehr als fünfzig Szenen beanstandet! Dreiundfünfzig, um genau zu sein!

Was waren denn das für Szenen?

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht genau. Es wurden Sexszenen kritisiert, wir sollten Aufnahmen vom Platz des Himmlischen Friedens herausnehmen, auch Szenen auf schmutzigen Straßen, die Peking von einer anderen Seite zeigen.

Das erinnert an den Fall „Mission Impossible III“. Der durfte in China nicht in die Kinos, weil er düstere Gassen in Schanghai zeigt, in denen hin und wieder sogar Wäsche im Wind flattert.

Genau so. Es ist einfach dämlich.

Aber man sieht in Ihrem Film immer noch viele schmutzige Straßen. Die sozialen Gegensätze sind ungeheuer. Und auch die Sexszenen sind sehr explizit.

Wir haben es einfach nicht geschafft, auf alle Änderungswünsche der Behörden einzugehen. Es waren zu viele. Ich kann das gar nicht richtig erklären, es ist technisch sehr kompliziert. Ich kann nur das sagen: In meinem Herzen gibt es nur eine Version. Die ganze Version. Nur für diese fühle ich mich verantwortlich. Die Bedingungen für chinesische Filmemacher sind trotz aller Fortschritte immer noch sehr schlecht. Es ist schwer, in China die Filme zu machen, die man machen will.

Noch im letzten Sommer haben Sie berichtet, wie überrascht Sie waren, als die Zensurbehörde das Exposé zu Ihrem Film durchwinkte. Warum gebärdet man sich jetzt plötzlich wieder so drastisch?

Ich fürchte, wir haben es hier mit einem Prestigekampf zu tun. Die Zensurbehörde glaubt, mein Produzent wollte mit der Einladung der Berlinale Druck auf sie ausüben. Aber das ist ein Missverständnis. Wir haben den Film erst im Sommer gedreht, ich komme praktisch direkt aus der Postproduktion. Diese hat statt drei Monaten nur vier Wochen dauern dürfen. Wir wurden wirklich sehr spät nach Berlin eingeladen. Wir hatten enormen Zeitdruck.

Wird es Konsequenzen haben, dass Sie „Lost in Beijing“ trotzdem in einer Form hier in Berlin präsentieren, die nicht den Vorstellungen und Vorgaben der Pekinger Behörden entspricht?

Ich hoffe, nicht. Mein Film ist schließlich nicht so explizit politisch wie etwa „Summer Palace“ von Lou Ye, der von der Niederschlagung der Demokratiebewegung handelt.

Lou Ye soll fünf Jahre Berufsverbot in China bekommen haben, weil er seinen Film gegen den Willen der Zensurbehörden auf dem Festival in Cannes gezeigt hat.

Ich hoffe, dass ihnen sein Film so viele Kopfschmerzen bereitet hat, dass ihnen bei meinem Film etwas die Puste ausgegangen ist.

In der Version, die Sie auf der Berlinale zeigen, ist immer noch eine lange, sehr detaillierte Vergewaltigungsszene zu sehen. Ist das nicht ziemlich offen?

Das kommt auf die Perspektive an. Ich habe schon explizitere Sexszenen gesehen. Wir haben nicht einmal Geschlechtsteile gefilmt. Und außerdem: Sex ist bei weitem nicht so verfänglich wie Politik.

Ist es nicht auch politisch, wenn man derart schonungslos vom Zerfall jeglicher Werte erzählt?

Ich bin sehr froh, dass wir jetzt über den Film sprechen können. Es ist sicher politisch, so pessimistisch von China zu erzählen. In China träumt im Moment jeder den amerikanischen Traum. Es herrscht Goldgräberstimmung. Alles befindet sich im Umbruch, und dabei geht vieles kaputt. Mein Film schildert eine Tragödie. Aber Tragödien wie diese sind keine Ausnahme. Man liest in China jeden Tag von solchen Geschichten.

Ihre Kamera geht sehr nah heran. Wenn einer betrunken ist, gerät auch die Kamera außer Kontrolle. Wenn einer nicht weiß, was er als Nächstes tun soll, gerät sie ins Schlingern.

Wir haben viel mit Autofokus gearbeitet. Der hinkt den Geschehnissen und Bewegungen immer hinterher. Vieles wird unscharf. Genauso unscharf, wie meine Figuren unentschieden sind. Sie wissen nicht, was sie tun. Sie werden es vielleicht erst in zwanzig Jahren verstehen, wenn sie die Chance haben, einen Schritt zurückzutreten.

Und dennoch fällen Sie als Regisseurin keine moralischen Urteile.

Der Film erzählt im Grunde von mir selbst. Ich bin mittendrin in dieser Geschichte. Ich kann genauso wenig Abstand gewinnen wie meine Helden.

Sind Sie Realistin?

Das echte Leben ist in China noch viel härter, als ich das je in meinen Filmen zeigen könnte.