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Archiv-Artikel

Türkei spielen

Nicht gut: Die Bühnenversion von Feridun Zaimoglus „Leyla“ hatte im Hans-Otto-Theater Potsdam Premiere

Die Potsdamer Neuesten Nachrichten hatten ihn gefragt, ob er zur Premiere komme. Das stünde noch auf der Kippe, hatte Feridun Zaimoglu geantwortet. Er war dann nicht da. Und hat sich ein großes Ärgernis erspart. Das Hans-Otto-Theater in Potsdam hat knapp ein Jahr nach Erscheinen von Zaimoglus erstem großem Roman „Leyla“ eine Bühnenfassung erstellen lassen. Wer mit solcher Hast den Stoff dieser Familiensaga, die auf über 500 Seiten von den Moderneverlockungen, Verletzungen und Befreiungsversuchen einer weiblichen Adoleszenz unter einem brutalen patriarchalen Regime erzählt, in ein anderes Format befördert, der sollte wissen, was er tut. Der sollte eine Idee davon haben, was eine „Leyla“ auf dem Theater der Romanversion hinzufügen könnte, außer nur von der noch frischen Aufmerksamkeit für den Stoff zu profitieren – die widerlegten Plagiatsvorwürfe von Emine Sevgi Özdamar liegen erst acht Monate zurück.

Die Dramatisierung von Anne-Sylvie König und Yüksel Yolcu enttäuschte prompt auf ganzer Linie. Sie dampfte Zaimoglus opulente, sprachgewaltige Geschichte zusammen auf eine Nacherzählung der „zentralen Szenen“, ergötzte sich an der Darstellung von familiärer Gewalt in einer platten Angstlust vor dem wilden Türkistan – und ließ es tatsächlich geschehen, dass die Sache als orientalisierte Burleske ihr Ende fand.

Die Geschichte der Leyla, die unter einem tyrannischen Vater in der Osttürkei der Fünfzigerjahre aufwächst und in der Heirat in Istanbul schließlich ihre einzige Chance zur Flucht sieht, lebt bei Zaimoglu durch die intensive Schönheit und detailgenaue Eigenständigkeit der Sprache, die er seiner Ich-Erzählerin in den Mund legt. In Potsdam bleibt diese Qualität – obwohl einige der Dialoge eins zu eins aus dem Buch übernommen sind – vollkommen auf der Strecke. In einem Bühnenbild, das im ersten Teil „Land“ aus einem Wald aus Baumstämmen bestand, im zweiten Teil „Stadt“ aus einem Wald aus mit Zeitungen beklebten Säulen und einer auf den Bühnenhintergrund projizierten Istanbuler Stadtansicht, spielen die Schauspieler Türkei.

Die Leyla von Caroline Lux ist ein blasses, kicheriges, verträumtes Mädchen, das nichts von der komplexen Nachdenklichkeit der Buch-Leyla an den Tag legt. Sie bekommt ausschließlich supersimple Sätze in den Mund gelegt. Die poetischen, dichten Stellen des Buchs werden ihr entrissen und einer unmotiviert auf der Bühne umherschleichenden Männerfigur anvertraut, die sie zusammenhanglos und mit dem Gestus der ultimativen Bedeutungshaftigkeit deklamiert.

Und wenn das Thema natürlich auch bei Zaimoglu immer präsent ist: Der Genuss, mit dem sich König und Yolcu auf die Inszenierung der Sexualisiertheit hinter der Maske der Prüderie fokussieren, lässt jede Subtilität missen. Die Kinokassenfrau, die bei Zaimoglu nur raucht und etwas Rouge auf den Wangen trägt, wird im Theater zur Femme Fatale, trägt Korsage und Straps. Leyla und ihre Schwestern dagegen werfen sich in einem fort in die plattesten hysterischen Standardposen, wenn es um verbotene Körperlichkeit geht – unausgesetzt schaudern und zittern sie schuldhaft, schlagen sich die Hände vor die Münder und fallen in Ohnmacht.

Die Szene im Hamam gerinnt zu einem feuchten, orientalistischen Traum: Frauen schreiten in Badetüchern und mit völlig unpassenden Reispapier-Japan-Schirmchen durch den wollüstigen Bühnennebel, Trommeln trommeln vom Band, dazu wird getratscht, gekeift und gerangelt. Die Hochzeit wird wie eine Soapszene ausgewalzt: schönes Brautkleid, bunte Glühbirnchen, ein bisschen echtes Türkisch, schmalzige Streichmusik, ausgelassener Tanz, kopulierende Hochzeitsgäste– und ein eifersüchtiger Vater, der mit der Pistole herumballert. Überhaupt dieser Vater. Darsteller Michael Scherff holzt sich durch seine Rolle und gibt mit ungekämmtem Haar und ständigem unartikuliertem Grunzen seine Interpretation von anatolischer Rückständigkeit zum Besten. Ganz schlimm ist dann, dass just dieser Vater, ein Prügler und Vergewaltiger, am Ende den längsten Monolog bekommt und im Sterbebett liegend als eigentlich guter Mensch und Liebender rehabilitiert wird.

Diese Inszenierung findet keine Form für die Fremdheit, die Zaimoglu herstellt. Sie will nicht zu denken geben, sie lässt sich vom griffigen Diktat der leichten Muse leiten – und tut Leyla so den denkbar kleinsten Gefallen.

KIRSTEN RIESSELMANN

Weitere Aufführungen: 24. 2., 4. 3., 15. 3., 23. 3.