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Archiv-Artikel

Spielplätze statt US-Kaserne für Vicenza

Bei Protesten in der norditalienischen Stadt geht es um Lokales, aber auch um den künftigen Kurs der Regierung

ROM taz ■ Machtvoll wie seit Jahren nicht mehr hat sich am Samstag die italienische Friedensbewegung zurückgemeldet. Mehr als 100.000 Menschen gingen in Vicenza auf die Straße, um gegen den Ausbau der dortigen US-Militärbasis zu protestieren. Vicenza sah eine Demonstration, die in der Mischung der Teilnehmer selbst die großen Protesttage gegen den Irakkrieg im Jahr 2003 übertraf. Denn vor Ort eint die Gegnerschaft gegen die geplante neue US-Kaserne das Gros der 115.000-Einwohner-Stadt. Egal ob Wähler der Linken oder der Rechten, ganze Familien aus Vicenza reihten sich in den Zug ein, in dem Lega-Nord-Anhänger neben No-Globals und Alpenjägern in Uniform mitzogen.

„No Dal Molin“, nein zur Kaserne am Flughafen „Dal Molin“ war der alle einende Slogan. Bisher sind in der Stadt 2.700 US-Soldaten der 173. Luftlande-Brigade in der zentrumsnahen Ederle-Kaserne stationiert, während 1.800 weitere Angehörige der Brigade an den deutschen Standorten Bamberg und Schweinfurt ihren Dienst schieben. Nun sollen alle Einheiten in Vicenza zusammengezogen werden. Das heißt für die Stadt: Bau einer zweiten Großkaserne, die ihren Platz direkt hinter dem historischen Stadtzentrum haben soll. Die Vicentiner, die bei einer gegen null tendierenden Arbeitslosigkeit auf die neuen Arbeitsplätze nicht angewiesen sind, fürchten vor allem einen Verlust an Lebensqualität und sähen auf dem Gelände lieber Parks und Spielplätze.

Für das Gros der ebenfalls aus ganz Italien angereisten zehntausenden Demonstranten stand dagegen die Frage im Vordergrund, welche außenpolitische Orientierung das von Romano Prodi regierte Italien in Zukunft einschlagen soll. Unverkennbar war, dass Vicenza vor allem eine Demo gegen die Regierung Prodi sah, deren ortsfremde Teilnehmer aber fast durch die Bank Prodi-Wähler waren. Grüne, Kommunisten, der linke Flügel der Linksdemokraten ebenso wie Gewerkschafter bestimmten neben autonomen Jugendlichen das Bild.

In den Vortagen hatte Prodi noch eilends die Parole ausgegeben, er wolle keine Minister und Staatssekretäre seines Kabinetts in Vicenza sehen. An diese Weisung hielt sich zwar der linke Flügel der Koalition. Statt mit Ministern waren die beiden Kommunistischen Parteien und die Grünen dann „bloß“ mit Partei- und Fraktionsvorsitzenden präsent. So wurde deutlich, dass es eine gemeinsame Position zur US-Militärpräsenz in der Koalition ebenso wenig gibt wie zum italienischen Isaf-Engagement in Afghanistan. Prodi hatte den Beschluss zum Ausbau der US-Präsenz in Vicenza zwar vom Vorgänger Berlusconi geerbt, sah sich aber angesichts der Proteste unter dem Druck des linken Flügels seiner Koalition, die Zusage wieder zurückzuziehen.

Dazu aber ist der Ministerpräsident, der nach dem italienischen Abzug aus dem Irak das Verhältnis zu den USA nicht weiter strapazieren will, ebenso wenig bereit wie zu einer Revision seiner Afghanistanpolitik. Stattdessen verlangt der Regierungschef jetzt eine koalitionsinterne „Klärung“: Die Regierung könne sich nur halten, wenn sie eine gemeinsame Linie in der Außenpolitik finde. Nach Vicenza wird diese Klärung jedoch kaum einfacher sein: Angesichts des großen Erfolgs und des trotz der üblichen Warnungen vor Ausschreitungen völlig friedlichen Verlaufs der Demonstration gehen Kommunisten und Grüne gestärkt in die Koalitionsgespräche. Zudem wissen sie, dass Prodi angesichts der hauchdünnen Mehrheit im Senat ihre Stimmen braucht. Schon am nächsten Mittwoch, bei der Afghanistan-Debatte des Senats, wird sich die koalitionsinterne Kraftprobe fortsetzen. MICHAEL BRAUN