: Gott und die Grünen im Herzen
AUS NEUSS LUTZ DEBUS
Konrad Adenauer schaut mit strenger Miene aus seinem Messingrahmen herab. Ihm schräg gegenüber versucht sich Horst Köhler an einem Lächeln. Die beiden Porträtaufnahmen sind der einzige Wandschmuck in der Neusser CDU-Parteizentrale. Das Büro, direkt gegenüber vom mächtigen Quirinus-Münster gelegen, gilt als politische Kommandobrücke der Region; schließlich ist die CDU seit den ersten Wahlen nach dem Zweiten Weltkrieg in der linksrheinischen Nachbarstadt von Düsseldorf Regierungspartei.
Hermann Gröhe sitzt am massigen Konferenztisch, vor ihm der Bayernkurier und der Rheinische Merkur. Der Vorsitzende der CDU im Rhein-Kreis Neuss ist seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestags und seit April letzten Jahres Obmann seiner Partei im BND-Untersuchungsausschuss. Nicht von ungefähr fiel die Wahl der Unionsfraktion bei der Besetzung des heiklen Postens auf den Juristen aus Neuss. Der 45-jährige aktive Christ gilt seit Jahren als der Menschenrechtsexperte der CDU.
Um zu erklären, wie er zu dieser Aufgabe gekommen ist, muss der kräftige Mann mit dem Meckischnitt ausholen. Die Eltern sind 1958 von Leipzig an den Niederrhein gekommen, der Rest der Familie blieb im Osten. Erst als 1969 die „Republikflüchtlinge“, die vor dem Mauerbau in den Westen gegangen waren, von der DDR-Führung amnestiert wurden, war ein Besuch der Großeltern, Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen möglich.
Sehr genau erinnert sich Gröhe daran, wie die Grenzer mit Schäferhunden und Maschinenpistolen die Abteile des Interzonenzuges durchsuchten. Nicht nur für den damals Achtjährigen war das eine Situation, die Angst machte. Die Eltern hatten Medikamente im Gepäck, die sie für die schwerkranke Großmutter über die Grenze schmuggelten.
Schon als Kind hat Hermann Gröhe gebannt die Diskussionen in den Familien in Sachsen verfolgt. Soll man die Kinder konfirmieren lassen, zur Jugendweihe schicken oder geht auch beides, war da die Frage? „Die frühen Erfahrungen mit der DDR haben mich später davor bewahrt, im linken Spektrum politisch aktiv zu werden“, erklärt Hermann Gröhe. Am Neusser Quirinus-Gymnasium gab es nur die SDAJ (die Jugendorganisation der DKP), die Jungsozialisten und die Schüler Union. Deren Vorsitzender wurde Gröhe alsbald. „Meine Eltern haben mein politisches Engagement manchmal nur sorgenvoll erduldet“, sagt Gröhe. „Schließlich waren sie Lehrer, und die Schule war ihnen wichtiger als die Schüler Union.“ Mit 16 Jahren löste er den heutigen CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla als Vorsitzenden der Schüler Union Rheinland ab.
Mindestens so prägend wie die Partei jedoch war für Gröhe die evangelische Kirchengemeinde in seinem Heimatort. Damals habe er sich auf einem Kirchentag wohler gefühlt als auf einem Parteitag, erinnert er sich. „Auf Parteitagen war es spannend, die zu sehen, die man nur aus dem Fernsehen kannte. Aber wohler gefühlt habe ich mich bei den Auseinandersetzungen auf den Kirchentagen.“ Auch dann, wenn Diskussionen für ihn nicht gerade bequem verliefen. 1983 etwa, beim Kirchentag in Hannover, habe er kein lila Tuch gegen den NATO-Doppelbeschluss getragen. „Wenn man Anfang 20 war und man trug es nicht, gab es sofort Debatten. Ich kam mir vor wie ein Exot, der unter Militarismusverdacht steht.“
Gröhes politischer Weg führte weiter steil nach oben. 1989 wurde er Bundesvorsitzender der Jungen Union, 1994 zog er in den Bundestag ein. Er war damals einer der wenigen jüngeren Abgeordneten der CDU, die als „Junge Wilde“ Kanzler Kohl das Leben etwas schwerer machten. Sie forderten die Trennung von Parteivorsitz und Kanzlerposten. „Das grenzte an Majestätsbeleidigung“, schmunzelt er im Nachhinein. Trotzdem bezeichnet Gröhe sein damaliges Verhältnis zu Helmut Kohl als „respektvoll“. Es habe stets ein robuster, aber kameradschaftlicher Ton geherrscht. Augenzwinkernd habe Kohl dem „Jungen Wilden“ zu verstehen gegeben: „Ich war früher mindestens so frech wie ihr heute.“ Noch heute sieht man sich bei den Vorstandssitzungen der Konrad-Adenauer-Stiftung. „Wir haben ein herzliches Verhältnis“, betont Gröhe.
Die Regierungspolitik von Rot-Grün kritisierte der Abgeordnete aus Neuss mit Ausdauer. Ob es um die Lockerung des Waffenembargos gegen China ging oder um die Menschenrechtssituation in Tibet oder Russland – der Jurist Gröhe verstand sich stets als Anwalt für Menschenrechte. Natürlich ist der CDU-Mann mit der Politik von Angela Merkel zufriedener als mit der ihres Vorgängers. Dadurch, dass Merkel ein totalitäres System selbst erfahren hat, könne sie Menschenrechtspolitik viel kompetenter betreiben, so Gröhe. „Sie hat bei ihren Antrittsbesuchen in Moskau und Peking Menschenrechtsfragen unmissverständlich angesprochen. Und auch in Washington wurde zum Thema Guantánamo Klartext geredet. Dabei wurde das Verhältnis zu keinem der Länder schlechter, zu den USA sogar deutlich besser.“ Auch habe sie sich, im Gegensatz zu Vorgänger Schröder, in Moskau mit Menschenrechtsorganisationen getroffen. Und den Dalai Lama habe sie mit dem Satz beeindruckt: „Ich habe auch Besatzungssoldaten kennen gelernt.“ Da sei nicht mehr theoretisch, sondern ganz persönlich über Diktatur gesprochen worden.
Inzwischen ist Hermann Gröhe CDU-Obmann im BND-Untersuchungsausschuss. Er wird am 8. März Außenminister Steinmeier (SPD) dazu befragen. Mehr als in der Zeitung steht, erzählt Hermann Gröhe natürlich jetzt auch nicht aus dem Ausschuss. Wenn er aber über die USA urteilt, hört sich das nicht wie CDU-Mainstream an: „Niemand kann als Anwalt der Menschenrechte auftreten und sie gleichzeitig so beschädigen.“ Gröhe hat die Berichte aus den US-Foltergefängnissen im Irak gelesen und war entsetzt. Er las, wie streng gläubige Muslime gezwungen wurden, sich vor US-Soldatinnen nackt auszuziehen. „Das waren keine Einzelfälle, das war eine vorgegebene Verhörstrategie“, sagt Gröhe. „Da bleiben Sie nur Amerikafreund, weil sie das Vertrauen haben, dass sich diese große Demokratie auf ihre Tradition besinnt und die Kraft besitzt, diese schlimmen Dinge kritisch aufzuarbeiten.“
In Deutschland empört ihn, dass manche Zeitung schreibt, dass es richtig gewesen sei, den Bremer Türken Kurnaz nicht einreisen zu lassen, weil er Türke ist. Von seinen Wählern bekommt er Briefe, in denen ähnlich argumentiert wird. Aber dieses Dilemma mit der öffentlichen Meinung kennt er bereits. Wenn er mehr Geld für Minenräumprogramme in Afrika fordert, hört er von manchem Neusser die Frage: „Denkst du auch an uns und unsere Arbeitsplätze?“ Dann berichtet der Abgeordnete seinen Wählern, dass die Region fast 50 Prozent ihrer Produkte exportiert. „Man kann den Leuten erklären, dass eine Welt, die im Chaos versinkt, auch für unsere Wirtschaft nicht gut ist.“ Wirtschaftspolitisch gehört Gröhe eher dem neoliberalen Flügel seiner Partei an. Früher, so räumt er ein, hätte er sozialer gedacht. Der Kontakt zu mittelständischen Betrieben, aber auch zu internationalen Konzernen in seinem Wahlkreis hätten ihn aber verändert.
Trotzdem argumentiert Hermann Gröhe manchmal wie ein grüner Funktionär. Große Feindschaften kann der Unionspolitiker im Bundestag seit Ende des Kalten Krieges sowieso nicht mehr erkennen. Glaubt man ihm, so haben sich alle in Berlin irgendwie lieb. Gröhe ist mit Leuten von CDU, SPD, FDP und Grünen befreundet. Die engsten Freundschaften pflege er zu Politikern aus der Union und von den Grünen, sagt er. Einem prominenten CSU-Kollegen, der noch vor ein paar Jahren gegen die Grünen als Partei der Steinewerfer polemisierte, hat der vierfache Vater gesagt: „Ich glaube, die CSU-Stammwähler sind es leid, dass du ihre Kinder beleidigst.“
Der Bruch zwischen den Generationen, der in den 1980ern herrschte, hat sich seiner Einschätzung nach überlebt. Weil er vor kurzem bei der Abschiedsparty des grünen Abgeordneten Matthias Berninger war, der zum Schokoriegelhersteller Mars wechselt, witzelten manch anwesende Journalisten über mögliche schwarz-grüne Perspektiven. Bei all den programmatischen Berührungspunkten erscheint dies nicht ganz utopisch. Ob in zehn Jahren eine Jamaika-Koalition einen Hermann Gröhe zum Bundeskanzler wähle? Da lacht der Neusser CDU-Mann schallend. Schnell, leise und deutlich fügt er dann hinzu: „Jamaika kommt früher als in zehn Jahren!“