: „Das ist keine Gefahrenabwehr“
In Kiel hat sich die große Koalition auf ein neues Polizeigesetz geeinigt. Warum dieser Entwurf verfassungswidrig ist und was sich noch dagegen tun lässt, erklärt die Juristin Christine Nordmann
INTERVIEW ESTHER GEISSLINGER
taz: Frau Nordmann, seit Monaten gibt es Kritik an den Plänen für ein neues Polizeigesetz in Schleswig-Holstein. Jetzt hat sich der Koalitionsausschuss auf eine Fassung geeinigt. Diese, sagen Sie, ist verfassungswidrig. Warum?
Christine Nordmann: Natürlich ist nicht alles schlecht. Einige der Punkte, die Experten kritisiert haben, wurden verändert. Es hat also Fortschritte gegeben, doch ein Teil davon ist im Koalitionsausschuss wieder zurückgenommen worden. Die aktuelle Fassung ist damit fast schlechter als diefrühere. Die Polizei erhält neue Befugnisse etwa für Video- und Telefonüberwachung, den elektronischen Abgleich von Autokennzeichen und bei der Schleierfahndung.
Einiges davon klingt so neu nicht. Was stört Sie daran?
Zur Strafverfolgung hat man viele dieser Instrumente bereits angewandt. Aber hier geht es um den Einsatz zur Gefahrenabwehr, also um die Verhütung von Straftaten. Und da gilt laut Bundesverfassungsgericht: Je weiter eine solche Maßnahme zeitlich vorverlegt wird, desto präziser muss der Gesetzgeber sie begründen. Hier läuft es andersherum. Man formuliert schwammig und erweitert so die Möglichkeiten der Polizei immens.
Es könnte also jeder Bürger jederzeit beobachtet werden?
Ja. Zum Beispiel die Überwachung an öffentlichen Plätzen. In Expertenrunden hat der zuständige Minister Ralf Stegner erklärt, es gehe um Knotenpunkte wie Bahnhöfe oder Flughäfen. Das steht im Gesetz aber nicht drin, dort ist von allgemein zugänglichen Flächen und Räumen die Rede, und überwacht werden kann zur Kriminalitäts- oder Gefahrenabwehr. Das kann der Bürger nicht nachvollziehen: Er weiß nicht, wo und wann er überwacht wird.
Böse gesagt: Zustände wie in Orwells „1984“.
Es bleibt der Polizei zu vieles überlassen, eben diese Unbestimmtheit kritisieren wir. Jeder Bürger könnte unversehens in eine Schleierfahndung geraten. Gleiches gilt für die elektronische Kennzeichenüberwachung bei Kontrollen. Sie soll übrigens dem Abgleich mit Fahndungslisten dienen, etwa ob ein Wagen gestohlen ist. Solch eine Maßnahme fällt in den Bereich der Strafverfolgung und müsste eigentlich vom Bund geregelt werden.
Was ist mit der Telefonüberwachung?
Diese Passagen wurden strenger formuliert, da können wir nicht viel mäkeln. Es heißt dort, dass es eine Telefonüberwachung nur zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr geben kann. Aber durch die Hintertür ist dann doch ein wichtiges verfassungsrechtliches Gebot gestrichen worden. Wenn ein Gespräch Privatangelegenheiten betrifft, muss abgeschaltet werden. Dieses Gebot ist durch eine kleine redaktionelle Änderung außer Kraft gesetzt.
Argumentiert wird, diese Maßnahmen seien nötig, um Gefahren abzuwehren – etwa Terrorakte. Was sagen Sie dazu?
Erstens geht es um die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Zweitens müsste erst einmal bewiesen werden, dass eine Überwachung jemals einen Anschlag oder ein anderes schweres Verbrechen verhindert hat. Man kann sich fragen, ob dieses Gesetz tatsächlich etwas bewirkt, oder ob es, wie selbst Justizminister Döring kürzlich geäußert hat, nur politischer Aktionismus ist. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, ist verschwindend gering, aber man macht einen Riesenbohei darum und versucht, die Bürger so in Sicherheit zu wiegen. Das ist Politik, aber keine effektive Gefahrenabwehr.
Schleswig-Holstein galt immer als vergleichsweise liberal. Prescht das Land nun voran?
Eigentlich zieht es nach. Zum Beispiel war Schleswig-Holstein das letzte Bundesland, das die Rasterfahndung aufgenommen hat. Eigentlich sollte sie nur befristet gelten, aber diese Befristung hat man dann klammheimlich aufgehoben. Minister Stegner sagte, es könne nicht ein Land ausscheren, alle Terroristen würden sich dann hier versammeln. Aber er ist die Begründung schuldig geblieben, dass man durch Rasterfahndung Terroristen erwischt. Eine Evaluation, die es geben sollte, hat gar nicht stattgefunden.
Das heißt, Schleswig-Holsteins neues Gesetz ähnelt denen anderer Bundesländer?
Herr Stegner verweist darauf, dass es harmloser sei als andere, und tatsächlich gelten anderswo noch schärfere Regeln. Aber das ändert nichts daran, dass es partiell verfassungswidrig ist.
Was können Sie jetzt noch tun?
Es gibt ein Bündnis aus Parteien und juristischen Verbänden. Wir wollen noch einmal auf die Probleme hinweisen, die wir sehen. Wenn das Gesetz in Kraft getreten ist, kann ein betroffener Bürger durch alle Instanzen bis zum Verfassungsgericht klagen. Denkbar wäre auch die Klage eines Verfassungsorgans, etwa einer Fraktion des Landtages.