: Nachrichten aus der literarischen Hackordnungswelt
Ist, wer Peter Handke Kitsch nachsagt, ein Karrierespießer und kleiner Kläffer? Nichts anderes behauptet der Literaturkritiker Helmut Böttiger
Der Literaturkritiker Helmut Böttiger hat neulich im Deutschlandfunk fürchterlich zu schimpfen angefangen. Einen „reflexhaften“ Kitsch-Vorwurf machte er aus. Von „Häme und Hohn vermeintlicher Bescheidwisser“ sprach er und vom „dumpfen Konsens der Konsumenten darüber, wie Literatur zu sein hat“. Das alles findet sich in Böttigers Radio-Besprechung von Peter Handkes Prosaband „Kali“. Und weiter: Handke-Kritiker konfrontiert Böttiger mit dem Vorwurf, sie seien „durchschnittliche Karriere-Spießer“ und „kleine“ oder auch „große Kläffer“.
In einem hat Böttiger ja recht: Wer bei diesem Autor nur Kitsch wittert, verpasst tatsächlich etwas. Wer aber wie Böttiger die Möglichkeit des Kitsches ganz und gar negiert, will sich selbst etwas vormachen; man nimmt niemandem ab, dass er über manche Handkesätze nicht auch einfach mal kichert. Nun muss man die Sache zwar gar nicht hochhängen. Böttiger fiel offenbar einer dieser melancholischen Ausraster an, die man ab und an hat und als kulturkonservativer Verfallstheoretiker wohl etwas häufiger. Drei Dinge gibt es aus der Sache aber zu lernen.
Erstens: Interessant ist, mit welchem guten Gewissen Autoritätsgesten im Literaturbereich immer noch auftreten. Nichts anderes ist ja Böttigers Einsatz. Eine, nämlich seine Lesart will er mit harschen Ausgrenzungen flankieren: alles Hanseln außer Handke! Offensichtlich ist die Figur des Autors und des großen Textes, vor deren Autorität der Rezipient zu schweigen hat, tief ins Literaturverständnis eingesenkt. Autoritätshörigkeit wird auch Böttiger nur noch im Bereich des Ästhetischen akzeptieren. Da aber fordert er sie geradezu. Kurz: Wer sein Knie nirgends mehr beugen will, auch nicht vor Texten, muss immer noch damit rechnen, dass andere da anderes wollen. Böttiger zum Beispiel.
Zweitens: Wer mit der klaren Hackordnungwelt rund um die Gruppe 47 literarisch sozialisiert wurde wie Böttiger, kann noch einen „dumpfen Konsens“ konstatieren und sich dagegen abgrenzen. Das schafft Klarheit. Aber ist es auch wahr? Evidenter wäre doch die Annahme, dass es derzeit gar keinen Konsens mehr darüber gibt, was Literatur ist. Alle plappern doch wild durcheinander! Das aber ist gerade auch eine Chance, die zu ergreifen Böttiger offensichtlich keine Lust hat. Anstatt positiv zu argumentieren und für seine Sicht zu werben, schimpft er auf andere. Damit erweist er aber auch Handke einen Bärendienst. Verachtung des Mainstream ist jedenfalls kein gangbarer Weg, um auratische Lektüren zu retten.
Drittens: Wovon man sich endgültig verabschieden muss, zeigt Böttiger, wenn auch ungewollt, ebenfalls sehr gut. „Das Poetische und der mediale Zeitgeist stehen sich meist konträr gegenüber“, schreibt er. Nicht von dem Satz muss man sich verabschieden, wohl aber von seiner naiven Verwendungsweise. Böttiger setzt ihn hin wie eine frisch gewonnene Erkenntnis. Tatsächlich aber ist der Gegensatz zwischen Poesie und Zeitgeist seit 200 Jahren eine Grundannahme der Kunstreligion. Man sollte sie kennen, um Handke zu verstehen, der ihr wirklich anhängt. Man kann sie verwenden, um im Einzelfall nachzuweisen, wo sich Poetik und Zeitgeist tatsächlich gegenüberstehen. Aber sie wie ein Bekenntnis vor sich her zu tragen, ist etwas peinlich. So leicht kann man zwischen Gut und Böse nicht unterscheiden, und so leicht kommt man selbst nicht auf die Seite der Guten.
Es gibt zum Beispiel auch ziemlich spießige Poesieleser. Und man gewinnt den Eindruck, dass auch Handke-Apologeten recht selbstgewiss herumkläffen können. Der Punkt ist: Dieser Autor hat doch Besseres verdient!
DIRK KNIPPHALS