: Mit voller Leidensbereitschaft
Furzmaschine und Schlangenbiss: In „Jackass: Nummer zwei“, dem zweiten Langfilm zur MTV-Serie, freuen sich Johnny Knoxville und seine Mitstreiter, wenn’s so richtig wehtut. Was ist dran an dieser besonderen Form der Körperkomik?
von DOMINIK KAMALZADEH
Wenn der Regisseur John Waters als Zauberer verkleidet erscheint, um ein besonderes Kunststück anzukündigen, dann darf man gespannt sein: Ein zwergwüchsiger Mann, der fast unbekleidet auf einem Bett liegt, soll zum Verschwinden gebracht werden. Was dann nicht etwa mit herkömmlichem Hokuspokus geschieht, sondern mit vollem körperlichen Einsatz. Ein zweiter Mann – er ist ungefähr doppelt so groß und dreimal so schwer – wirft sich über den anderen, bis seine Leibesfülle den Zwergwüchsigen komplett überdeckt. Der Zeremonienmeister ist zufrieden.
Eine ähnliche Szene aus einem anderen Film: Wieder stehen zwei nackte Männerkörper, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, im Mittelpunkt. In einem Hotelzimmer ist ein wüster Streit ausgebrochen. Die Beteiligten – der eine ziemlich schlank und stark behaart, der andere ziemlich übergewichtig und noch stärker behaart – verkeilen sich ineinander, würgen sich, beschimpfen sich und kommen kurzfristig in einer Position zur Ruhe, die an eine Sexualpraktik (nicht nur) homosexueller Männer erinnert.
Was ist so komisch an grotesken Körpern? Die erste Fährte mag John Waters legen, der in „Jackass: Nummer zwei“ nicht von ungefähr einen Cameo-Auftritt hat: Durch seine Zusammenarbeit mit Divine, der übergewichtigen, „most filthiest actress in the world“, in Filmen wie „Pink Flamingos“ (1972) oder „Female Trouble“ (1975) gilt er längst als eine Art Gralshüter der transgressiven US-Komödie. Waters ging es vor allem darum, das Feld der Darstellbarkeit zu erweitern, mit besonderem Augenmerk auf die illustren Vertreter einer White-Trash-Culture: Worauf die Filme abzielten, war ein ambivalentes Gefühl zwischen Abscheu und Vergnügen – auf einen Affekt, den es wohl für jede Zeit aufs Neue zu definieren gilt.
Weil Waters seine Filme noch unabhängig von Hollywood realisiert hat, konnte er, im sicheren Underground, relativ leicht gegen die Regeln des „guten Geschmacks“ verstoßen. Seitdem ist der US-spezifische body humour über Collegekomödien wie „Porky's“ (1982), „National Lampoon's Animal House“ (1978) oder die „American Pie“-Saga sowie Gross-out-Comedies wie jene der Farrelly-Brüder längst in den Mainstream abgewandert. Der Rekurs auf den Körper als komisches Instrument, seine möglichen Defekte, seine zahlreichen Vermögen und symbolischen Funktionen, sind aus der zeitgenössischen US-Komödie nicht mehr wegzudenken. Selbst Borat, Sacha Baron Cohens kasachischer Extremjournalist, kommt nicht ohne der Attraktion der anfangs beschriebenen Wrestlingszene aus.
An „Jackass: Nummer zwei“, dem zweiten Langfilm zur MTV-Serie, lässt sich diese Art von Körperhumor – der allgemein dem Überbegriff der „low comedy“ zugewiesen wird – deshalb besonders gut verhandeln, weil er hier in reiner Form auftritt. Die Szenen folgen untereinander keiner narrativen Entwicklung, sondern reihen sich als Sketche innerhalb einer Logik körperlicher Sensationen aneinander. In ihrer Besinnung auf den attraktiven Kern weisen sie durchaus Analogien zum frühen Kino auf, das noch viel stärker der Kultur des Karnevals und des Vergnügungsparks verpflichtet war und körperliche Schocks verabreichen wollte. Ob Stunt, Mutprobe, Candid-Camera-Gag, listige Falle oder auch nur Übung in der Überwindung von Ekel – der Körper begibt sich in den „Jackass“-Filmen auf eine Tour aus Härtetesten, aus der er keinesfalls ungeschoren davonkommen soll.
Die zentralen Affekte, der Schmerz, der Ekel und das Lachen, sind hier nicht länger voneinander zu trennen. Egal, ob man den Penis im Mausekostüm einer Schlange entgegenstreckt, sich von einem wütenden Stier attackieren oder sich wissentlich von Explosionen schwarzer Metallkugeln malträtieren lässt – je gefährlicher, ja sinnloser eine Aktion, umso eher rechtfertigt sie sich allein durch das Hinhalten des eigenen Körpers. Narben, Entzündungen und Blessuren sind die Trophäen für diese komischen Torturen.
Ohne größeren narrativen Korpus fällt es schwer, den Attraktionen repräsentative Funktionen zuzuschreiben, die über das performative Moment noch hinausgehen. Von der masochistischen Gewalt Edward Nortons in „Fight Club“, der sich vor seinem Chef selbst zusammenschlägt und sich dabei freiprügelt, weil er, wie Slavoj Žižek einmal notiert hat, seinen Herren überflüssig macht, sind Johnny Knoxville, Bam Margera, Steve-O und Co. schon deshalb entfernt, weil ihnen das autoritäre Gegenüber fehlt. Ihre Freiheit ist es, sich innerhalb eines selbstbezüglichen Systems fast alles erlauben zu können.
Vielleicht steht ihnen die Leidensbereitschaft des neuen Bonds in „Casino Royale“ näher. Dessen Körper trägt anders als die Körper der Vorgänger einige Blessuren. Daniel Craig fügt sich zwar wie jeder anständiger Actionheld die Wunden nicht selbst zu, gilt aber gerade durch seine mehr auf Verletzlichkeit fundierte Maskulinität als authentischer (oder auch zeitgenössischer). Authentifizierung könnte auch das Schlüsselwort zu den „Jackass“-Taten lauten: Die sozial, ethnisch wie geschlechterspezifisch homogenen weißen Mittelstandsjungs vergewissern sich mit ihren Nonsensaktionen ihrer Zusammengehörigkeit über ein gemeinsames Männlichkeitsbild. Wo die Gesellschaft nur Normierungskonzepte bereithält und ähnlich sinnstiftende Gruppencodes wie jene von Minderheiten (etwa Gangsta-Rap-Attitüden unter Afroamerikanern) fehlen, erfährt man sich selbst und die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft über die Unmittelbarkeit des Körpers beziehungsweise des Schmerzes. Das ist zugleich ein bewusster Rekurs auf die White-Trash-Culture.
Auffällig ist in diesem homosozialen Kreis heterosexueller Männer, wie groß die Begeisterung für alle Körperöffnungen ist – wobei es weniger um sexuelle Konnotationen geht als um einen Zustand permanenter Regression: Sexualorgane werden entgegen ihrer Funktion verwendet; Fäkalien und Ejakulate von Tieren eingenommen, richtige Nahrung und Getränke möglichst schnell wieder erbrochen. Die Furzmaschine mag paradigmatisch für ein Band zweier Körper stehen: Ein Trichter am Hintern einer Person ist durch einen Schlauch mit dem Helm einer weiteren verbunden. Der Ausstoß der einen provoziert bei der anderen die unmittelbare Reaktion des Übergebenmüssens: Der Körper wird zum kommunikativen Gefäß – und Ekelkomik schafft in „Jackass“ soziale Verbundenheit.
Dagegen wird bei Sacha Baron Cohen der Ekel gegen politische Korrektheit produktiv gemacht. Als Comedian liebt Cohen die Anverwandlung, ob als Gangsta-Rap-Wannabe Ali G, als schwuler österreichischer Fashionexperte Bruno oder eben als Borat. Allen drei Figuren ist gemeinsam, dass sie die Gegenüberstellung mit anderen benötigen, um zu funktionieren. Man lacht über sie, aber mehr noch über die Zwangslagen, in die sie ihre Opfer bringen. Peinlichkeiten scheuen sie keine.
Wenn Borat bei einem Dinner einer konservativen Südstaatenfamilie aufs Klo verschwindet und mit einer Tüte voller Exkremente zurückkehrt, dann ist der Fäkalhumor streng funktionell: Er ist Teil einer politisch inkorrekten Strategie, mit der Borat als Außenseiter in den Gesellschaftskörper eindringt, kulturelle Differenzen nach außen kehrt und gerade dadurch wieder Verständigungen schafft. Wer seine Vorurteile zur Schau trägt, entdeckt mit einer gewissen Ausdauer hinter der Liberalität seines Gegenübers ähnliche Ressentiments.
Es handelt sich um eine im Grunde einfache komische Idee, die in ihrer Zuspitzung allerdings erstaunliche Ergebnisse generiert: Im Spiegel des Fremden zeigt sich auch das Eigene neu. Der gesellschaftliche Wertekodex wird als Konstruktion erkennbar, an die man sich hält, ohne richtig daran zu glauben.
Das Prinzip Borat funktioniert aber auch deshalb so gut, weil er mit entwaffnender Freundlichkeit seinen Opfern gegenübertritt: Er sucht Allianzen, oft auch mit körperlichem Einsatz – berühmt sind seine Küsse, die er auch Journalisten nicht versagt. Dabei ist es nicht immer so, wie gegenwärtig manche der Borat-Basher monieren, dass er es sich besonders leicht machte: Wie erklärt man sich sonst jene Szenen, in denen er mit afroamerikanischen Jungs herumalbert, bis am Ende nicht sie auf seine Reden, sondern er auf ihre einschwingt. Es geht bei ihm immer auch um Verhandlungsmöglichkeiten mit einem Außen, aus dem neue – und auch produktive – Komplizenschaften hervorgehen können.
Der Unterschied zu „Jackass“ wird besonders an jener Szene deutlich, in der sich Knoxville und Co. in Borats Fahrwasser begeben. Einer der Jungs wird als arabischer Terrorist verkleidet und soll einem Taxifahrer auf seinem Weg zum Flughafen Angst einflößen. Was der Fake-Terrorist aber nicht weiß, ist, dass der Taxifahrer selbst Schauspieler ist und ihn überrumpeln wird. Das Außen ist in diesem Gag nur noch als fiktiver Rahmen für einen Streich vorhanden, der sonst vollkommen immanent bleibt: Lustiger als radebrechende Terroristen sind eben nur solche, die nicht wissen, dass sie die Schamhaare ihre Freunde im Gesicht kleben haben.
„Jackass: Nummer zwei“. Regie: Jeff Tremaine. Mit Johnny Knoxville, Bam Margera u. a., USA 2006, 95 Min.