: Wachstum: Fotos dieser Beilage
Wachstum lautet der Titel des Prix Pictet 2010. Nachdem es zuvor um unser Wasser und um die Erde ging. Der von der Genfer Privatbank Pictet 2008 ins Leben gerufene Kunstpreis zeichnet ganz dezidiert Fotografie zum Thema Klimawandel aus. Neben dem Hauptpreis in Höhe von 100.000 Schweizer Franken, den der ehemalige UN-Generalsekretär und jetzige Ehrenpräsident des Prix Pictet, Kofi Anan, am 17. März dem Gewinner in Paris überreicht, wird allen zwölf Fotografen der Shortlist eine Feldreise in eine der Regionen finanziert, in denen die Bank Projekte fördert, die dem Gebot der Nachhaltigkeit gehorchen.
Mehr als 450 Fotokünstler aus fünf Kontinenten hat ein weltweites Expertennetzwerk für den Preis vorgeschlagen. Die Auswahl, die die achtköpfige Jury getroffen hat, findet sich nun in einem Bildband des teNeues Verlags („Prix Pictet – Growth“, 128 Seiten, 72 Farb-, 11 S/W-Abbildungen, 49,90 Euro) – und in unserer Literaturbeilage, die daraus wiederum eine Auswahl vorstellt.
Wie aber fotografiert man Wachstum, das Abermillionen von Menschen aus der Armut bringt und dabei enorme, auf Dauer womöglich nicht zu verkraftende Umweltkosten verursacht? Oder anders gesagt, wie fotografiert man eine Paradoxie? Aus dem Helikopter, mit kräftigen Farben, sagt die Fotografin Claudia Jaguaribe, die derart die Favelas von Rio de Janeiro in all ihrer unwahrscheinlichen Schönheit fassen kann. Ohne dass man vergessen könnte, dass dort zu leben ein riskantes, entbehrungsreiches Unterfangen ist.
Zweifellos sind die modernen Megastädte das Supersymbol von Wachstum. Trotzdem und gerade deswegen sind Michael Wolfs Fotografien der Wohnblocks in Hongkong nicht einfach ein Vorwurf an die Gesellschaft, die solche Städte baut. Sie knüpfen darüber hinaus an die Kunst der Romantik und das Motiv des Erhabenen an. Sie sprechen vom Verhängnis der menschlichen Existenz im 20. und im 21. Jahrhundert.
Seine Häuserwände korrespondieren merkwürdig mit dem undurchdringlichen Pflanzendickicht, das Thomas Struth in den Wäldern Bayerns, Brasiliens oder Chinas gefunden und fotografiert hat. Wachstum resultiert hier wie dort, in der Stadt wie im Wald, in einem komplexen Ökosystem, das wir gar nicht gut genug studieren können, um das „Paradies“ nicht aus den Augen zu verlieren, das uns Struths Bilder versprechen. BRIGITTE WERNEBURG