Abfall für Ulf

Kleine Epiphanien und Retro-Anmutung: Der Schriftsteller Rainald Goetz schreibt wieder im Netz, für „Vanity Fair“

Das Neue fand Rainald Goetz meistens gut. Generallinie: keine vorauslaufende Skepsis. Stattdessen: Hingucken! Mitmachen! Ausprobieren! Nun schreibt Rainald Goetz also einen Blog auf der Vanity-Fair-Homepage. Kann man gut reingucken und findet dann interessante Texte. Eintrag vom 17. Februar: „Der Frühling ist da.“ Schlichte Wahrheit natürlich. Aber niemand kann das so stilsicher hinschreiben wie Rainald Goetz. Wird gleich eine kleine Epiphanie.

Außerdem gibt es erhellende Beobachtungen aus der Welt des politisch-medialen Komplexes zu lesen. Materialsuche für einen großen Roman rund um dieses Thema soll Rainald Goetz ja schon lange betreiben. Freude also, unbedingt. Aufzuarbeiten ist aber auch ein kleiner Vorbehalt. Vielleicht hat man sich einfach noch nicht daran gewöhnt, bei diesem Autor auf Wiederholungen und Retro-Anmutung zu stoßen.

Sobald man den Text hat, ist alles gut. Nur das ganze Drumherum erinnert einen zunächst ziemlich an damals – wann war das? 1997?, 1998? – , an „Abfall für alle“. Es funktioniert halt genauso. Täglich Mailadresse eingeben, täglich vergessen, das unter Bookmarks zu speichern, täglich überlegen, ob es Verbindungslinien zu eigenen Wahrnehmungen gibt, wenn nicht, auch gut, dann täglich die Hermetik und Manierismen bestaunen. Man liest diesen Blog vor dem Hintergrund des alten, längst schon in Buchform gedruckten und mit Literaturpreisen versehenen Internettagebuchs, dagegen kann man gar nichts machen.

Zwei Unterschiede gibt es aber doch. Der eine: Was damals Experiment war, Labor, Abenteuer, ist heute ein Blog unter vielen. Diese Veränderung des Rahmens ist gewichtig. Der Text segelt nicht mehr unter der Avantgardeflagge, sondern muss sich im unübersehbaren Angebot der täglichen Blogs behaupten. Er muss täglich anders sein als die anderen Texte, die täglich unter anderen Internetadressen erscheinen. Noch ist in den Einträgen nicht recht zu sehen, wie Rainald Goetz auf diese veränderten Rahmenbedingungen reagiert.

Der zweiter Unterschied besteht in dem Vorspann. „Vanity Fair präsentiert Rainald Goetz“. Also: Abfall für Geld? Oder auch: Abfall für Ulf Poschardt? Der Blog steht eben nicht für sich, sondern ist Teil der Glam-Erzeugungs-Maschine dieses neuen Magazins, die zudem zögerlich anläuft. Aber an diesen zweiten Unterschied wird man sich wohl schnell gewöhnen. Denn zum einen erzeugt dieser Blog wirklich einigen Glam, und der ist ja nichts Schlechtes. Zum zweiten ist der dezente Eindruck von Selbstverkaufe bei Rainald Goetz sogar ganz interessant. Man registriert: Das Suhrkamp-Heldische ist nun endgültig auch aus diesem Schriftsteller raus. Das kleine, schmuddelige Sichverkaufenmüssen steht Rainald Goetz gar nicht schlecht. Es macht ihn wieder realer.

Nach diesen Überlegungen jetzt wieder täglich gerne: zum Text. DIRK KNIPPHALS