„Ein blinder Fleck“

ÄGYPTEN ET AL Die Linke verkennt die Gefahr der Islamisierung, sagt die Bremer Exil-Iranerin Maria Alizade. Das sei auch bei den hiesigen Soli-Demos erlebbar

■ 54, erlebte die iranische Revolution 1979 in Teheran. 1988 musste sie fliehen, seitdem lebt sie in Deutschland. Sie ist bei der iranisch-afghanischen Frauenorganisation „8. März“ organisiert.

taz: Die Welt ist begeistert von den arabischen Revolutionen, auch in Bremen gab es Solidaritäts-Demos. Nur Ihnen haben die nicht gefallen. Wieso?

Maria Alizade: Weil für säkulare Forderungen dort kaum Platz war. Ich bin sehr froh über die Aufstände in Nordafrika und die Demos in Bremen waren gut organisiert. Aber die Haltung der deutschen Linken und der Exilanten ist oft sehr einseitig.

Inwiefern?

Sie warnen vor einer Intervention des Westens, fürchten vor allem die USA. Dass die Länder unter islamistische Herrschaft geraten könnten wie der Iran, die Gefahr sehen viele dabei nicht.

Woraus schließen Sie das?

Am Tag nach Mubaraks Rücktritt gab es hier die erste Demo. Wir sind dort mit einem Transparent erschienen, auf dem „Nieder mit der Islamischen Republik Iran“ stand. Eine Gruppe arabischer Männer wollte uns verbieten, dieses Transparent zu tragen. Anderen Iranern ist das gleiche passiert. Wir haben uns das allerdings nicht bieten lassen. Bei der Solidaritäts-Demo für Libyen am letzten Samstag war es ähnlich. Wir trugen Plakate auf denen „Für die Trennung von Religion und Staat“ stand. Dafür kämpfen iranische Frauen seit 32 Jahren. Aber man hat uns gesagt, das würde „hier nicht hinpassen“.

Das muss nicht heißen, dass man islamistischen Strömungen tolerant gegenübersteht.

Nein, aber mit einer gewissen Gleichgültigkeit. Die deutschen Linken sind begeistert von den Aufständen, sie sehen vor allem die soziale Revolte. Das ist unsensibel. Ich freue mich über die Solidarität, ich bin auch solidarisch. Aber wir müssen aus der Geschichte lernen. Ich habe die Revolution im Iran als Studentin erlebt und wir haben große Fehler gemacht.

Das ist lang her. Wo sollen denn die Parallelen liegen?

Damals haben sich im Iran Linke und Religiöse vereint, um eine prowestliche Diktatur zu stürzen, die von den USA gestützt wurde. Auch damals waren die antiimperialistischen Linken im Westen auf den Schah als Feindbild fixiert. Alle haben die Gefahr übersehen, die von den Fundamentalisten ausgeht, auch wir Iraner. Das Ende kennen alle: Seit 32 Jahren regiert ein Regime, das Gewalt und Tod über Millionen Menschen gebracht hat. All das könnte sich wiederholen.

Übertreiben Sie nicht? Die Jugend in Ägypten und Tunesien ist doch sehr modern gesinnt.

Das mag sein. Das war im Iran aber auch so. Trotzdem konnten sich die Fundamentalisten durchsetzen. Nach der Machtergreifung haben sie frauenfeindliche Gesetze erlassen, Demonstrationen von Frauen wurden mit Gewalt niedergeschlagen. Genau das ist am 8. März in Kairo passiert. Eine Demo zum Internationalen Frauentag wurde von 200 religiösen Männern angegriffen, die Frauen wurden beschimpft und geschlagen. Es tut mir weh das zu sagen, aber die Bilder gleichen sich. Und in der momentanen Begeisterung geht das unter. Interview: Christian Jakob