: „Eine Frau ist eine Abweichung“
Rednerinnen müssen sich am männlichen Ideal orientieren, sagt die Rhetorikforscherin Wagner-Egelhaaf aus Münster. Ihnen wird eine tiefe Stimme antrainiert und der Hosenanzug empfohlen. Denn wer die kulturelle Norm verletzt, hat es schwer
INTERVIEW ANNIKA JOERES
taz: Frau Wagner-Egelhaaf, nun wird Anne Will die neue Talkshowkönigin. Wird sie anders sprechen als ihr Konkurrent Frank Plasberg?
Martina Wagner-Egelhaaf: Das ist nicht entscheidend. Sie wird auf jeden Fall anders wahrgenommen als ein Mann, das ist wichtig. Die Wahrnehmung von Männern und Frauen folgt klaren kulturellen Mustern.
Worin besteht der Unterschied?
Eine Rednerin wird immer mit dem männlichen Ideal verglichen. In der abendländischen Kultur ist die Redeposition stark männlich geprägt. Eine Frau wird immer als eine Abweichung von der Norm gesehen, als eine Ausnahme.
Aber Politikerinnen und Schauspielerinnen sind doch ebenso geschult und rhetorisch überzeugend.
Natürlich, das stimmt auch. Aber sie werden trotzdem am männlichen Ideal gemessen. In ihrer Ausbildung lernen sie, ebenso wie Radiosprecherinnen zum Beispiel, ihre Stimme zu senken. Aber auch die ‚actio‘ soll sich anpassen, Frauen sollen ruhiger sitzen, die passende Kleidung tragen. Daher hat sich auch der Hosenanzug für erfolgreiche Frauen so durchgesetzt: Er ist eine Anpassung an das männliche Ideal.
Hannelore Kraft, die neue SPD-Chefin in NRW, hat auch einen an – aber ihr wird immer wieder vorgeworfen, ihre Stimme sei zu schrill.
Das wird Frauen häufig vorgeworfen. Eine überzeugende Stimme hat für die meisten Menschen in der kulturellen Wahrnehmung dunkel und tief moduliert zu sein. Sonst wird sie sehr schnell als schrill und hysterisch abgetan.
Müssen Frauen sich denn unbedingt an der männlichen Norm orientieren? Wäre es nicht sinnvoller, auch hohe Stimmen gesellschaftsfähig zu machen?
Das ist nicht so einfach. Im übrigen muss jedeR ihren oder seinen eigenen Stil finden. Viel wichtiger ist es, unterschiedliche Register ziehen zu können, je nach Gesprächspartner und Situation die Rolle wechseln zu können. Das muss trainiert werden. Anne Will muss in ihrer Runde plappernde Gäste auch mal streng unterbrechen, genauso wie sie stille Gäste in die Runde bringen muss. Sie braucht den autoritativen Stil ebenso wie den vermittelnden. Natürlich kann sie das auch, sie ist Profi.
Gibt es denn überhaupt noch ein typisch männliches oder weibliches Gesprächsverhalten? Sind die Linien nicht längst verwischt?
Es gibt immer noch grundsätzliche Tendenzen. Frauen fühlen sich für die gesamte Gesprächssituation verantwortlich, beziehen sich auf andere TeilnehmerInnen. Männer hören oft weniger zu, wollen ihren Punkt loswerden und sich selbst ins rechte Licht rücken. Es könnte eine Strategie für Frauen sein, sich auch mal mehr das Wort zu holen.
Das Wort holen, weniger zuhören – das hört sich aber nach einer unsympathischen Strategie an.
Ich will kein unkontrolliertes Verhalten und lauter egoistische Gesprächspartner. Wenn man sich das Wort holt und das als Strategie reflektiert, ist das o.k. – solange es nicht zum Automatismus wird. Der Erfolg eines Gesprächs hängt von vielen Parametern ab, und wir sollten sie ständig reflektieren.
Lässt sich denn alles antrainieren? Es gibt doch geborene Redetalente.
Natürlich gibt es rhetorische Naturtalente und weniger begabte RednerInnen – aber jeder und jede kann sich verbessern. Die antike Rhetorik zielte ja auch darauf ab, Redekunst zu vermitteln. Am Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Rhetorik allerdings diskreditiert weil sie als künstlich, manipulativ und verlogen angesehen wurde. Und auch die Nazizeit trug in Deutschland zu ihrem schlechten Image als Mittel der Verführung bei. Heute heißt es wieder: Auch eine gute Sache braucht eine gute Rhetorik. Und die ist erlernbar.
Lernen Männer denn in Ihren Seminaren nun auch weibliches Redeverhalten?
(lacht) Ich fürchte, das ist eher einseitig. Auch Männer lernen in Rhetorikkursen, ihre Stimme weiter zu senken. Insgesamt ist wichtig, dass Männer und Frauen unterschiedliche Redestile beherrschen.
Nehmen Frauen Rednerinnen denn ebenso schnell als hysterisch wahr?
Ja. Von den gesellschaftlichen Prägungen kann sich natürlich niemand frei sprechen. Auch Frauen haben die männliche symbolische Ordnung verinnerlicht.
Wie bewusst nehmen Menschen denn ihre Prägung wahr?
Nur sehr wenig. Wir haben kaum eine Chance, aus der symbolischen Ordnung herauszutreten. Man kann bestenfalls mit ihr spielen und versuchen, sie ironisch zu unterlaufen. Etwa, indem eine Frau sagt: ‚Mir ist völlig klar, dass in diesem Gremium nur selten eine Frau das Wort ergreift.‘ Frauen dürfen durchaus auch mal mit ihrem Publikum flirten – Anne Will beherrscht das übrigens ganz hervorragend – wenn sie dabei die sachlichen Argumente und das Redestil nicht aus den Augen verlieren.