: „Kein Naturalismus“
Das deutsche Fernsehen muss MigrantInnen mehr positive Vorbilder anbieten, statt nur die Realität abzubilden, fordert Michael Mangold, Gründer der Bundesinitiative Integration und Fernsehen
Interview Daniel Bax und Hannah Pilarczyk
taz: Herr Mangold, die Serie „Türkisch für Anfänger“ ist für den Grimme Preis nominiert, die Komödie „Meine verrückte türkische Hochzeit“ hat das Fernsehfilm-Festival Baden-Baden gewonnen. Was wünschen Sie sich noch mehr?
Michael Mangold: Natürlich ist es ein Anfang, dass das deutsche Fernsehen in Sachen Migration nun endlich in Bewegung gekommen ist – nach 30 Jahren Schlafenszeit. Aber die genannten Formate sind nur Einzelsendungen, von denen man gar nicht weiß, wie sie beim Publikum genau angekommen sind. Uns von der Bundesinitiative geht es auch nicht vorrangig darum, explizit Migranten-Sendungen aufzunehmen, sondern uns ist wichtig, das Thema insgesamt in fiktionale Formate zu transportieren. Mittelfristig muss es darum gehen, dass Migranten überall im TV vertreten sind.
Ist das nicht schon längst passiert, zumindest was Türkisch-Deutsche betrifft? Sind nicht mittlerweile andere Migrantengruppen benachteiligt?
Das ist ein wichtiger Punkt: In seinem Aufholbemühen hat sich das Fernsehen auf die Türken als zahlenmäßig vermeintlich größte Migrantengruppe konzentriert. Dabei bilden die Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion die absolute Mehrheit. Die kommen im Fernsehen überhaupt nicht vor. Höchstens im „Tatort“ – und dann als Waffenschieber oder Mädchenhändler. Das Gleiche gilt übrigens für Afrikaner in Deutschland.
Bei Türkisch-Deutschen war es aber auch lang ein Problem, in fiktionales Fernsehen vorzudrängen, weil der Nachwuchs an Schauspielern, Drehbuchautoren und Regisseuren fehlte.
Sie sollten nicht unterschätzen, wie viele Leute in der Warteschleife stehen. Ich habe über die Jahre mit vielen Schauspielern und Autoren gesprochen. Meine Erkenntnis aus den Gesprächen: Man hat die Leute nicht zum Zug kommen lassen.
Was ist die größte Barriere dabei gewesen?
Bis vor ganz kurzem wurden Schauspielern mit Migrantenhintergrund überhaupt keine Stoffe angeboten, in denen sie jenseits der gängigen Klischees agieren konnten. Wobei man zwischen eingereichten und angenommenen Stoffen unterscheiden muss: Selbst prominenten Autoren wie Felix Huby, der viele „Tatorte“ geschrieben hat, haben die Sender zu verstehen gegeben, dass seine „Ausländergeschichten“ nicht gewünscht seien, weil sie nicht in das übliche Bild gepasst haben.
Die Schalter bei den Sendern sind aber nun umgelegt?
Ja, aus den Sendern kommen nun Signale, auf die wir jahrelang gewartet haben.
Wie viel Anteil daran hat etwa Fatih Akins Erfolg mit „Gegen die Wand“?
Das war auf jeden Fall ein wichtiger Beitrag. Wobei man, aufs TV bezogen, sagen muss, dass die Privatsender mit Formaten wie „Der König von Kreuzberg“ diesen Trend viel eher erkannt haben – aus kommerziellen Gründen, weil sie in Migranten wichtige Konsumenten erkannt haben.
Womit Sie ein wichtiges Problem benannt haben: In Deutschland werden MigrantInnen nach wie vor kaum als Werbeadressaten erkannt und erfasst. Wie groß ist denn der Markt für Migranten-Formate und -Produkte wirklich?
Oh, der ist enorm groß!
Kann man dann nicht auf die Marktkräfte vertrauen?
Ich komme aus der Wirtschaftsforschung und weiß daher: Diese Mechanismen funktionieren nicht automatisch, wie vielfach angenommen wird. Die deutschen Unternehmen haben zwar in den letzten Jahren ansatzweise wahrgenommen, was für Absatzmärkte mit den Migranten verbunden sind. Aber da ist immer noch vergleichsweise wenig Bewegung drin.
Zurück zu den Privatsendern: Mit „Alle lieben Jimmy“ hat RTL die erste rein türkische Comedy vorgelegt, die ARD-Serie „Türkisch für Anfänger“ zeigt dagegen eine deutsch-türkische Familie. Was halten Sie für den produktiveren Ansatz?
Es gibt nicht das eine Erfolgsmodell. An „Alle lieben Jimmy“ mochte ich sehr, dass es mal ein ganz anderes Setting geboten hat: nämlich die erfolgreiche, moderne türkische Familie, die sich souverän mit ihren Traditionen ins Benehmen setzen kann. So etwas im TV darzustellen, hat enorme Außenwirkung.
Aber wenn man nur türkischstämmige Anwälte im TV zeigte, würde das doch auch die Realität verzerren.
Uns von der Bundesinitiative geht es nicht um Naturalismus. Wenn ich mir zur Aufgabe stelle, nur abzubilden, was faktisch ist, kann ich die Dinge nicht verändern. Wir wollen die Dinge aber verändern und Vorbilder im Fernsehen verankern – um berufliche Orientierung zu bieten und alternative Geschlechterrollen aufzuzeigen. Gegenwärtig gibt es für junge türkischstämmige Männer zum Beispiel keine Vorbilder, nach denen sie ihr Verständnis vom Mannsein in Deutschland ausrichten können.
Wer könnte denn ein solches Rollenmodell vermitteln? Ein türkischstämmiger „Tatort“-Kommissar? Oder besser ein „Tagesschau“-Sprecher mit Migrationshintergrund?
Im Nachrichtenbereich müssen Migranten natürlich auch präsent sein, und das ist ja teilweise bereits der Fall. Fiktionale Formate finde ich aber besonders wichtig, weil man mit ihnen die jungen Menschen anspricht. Gerade mit den Daily Soaps erreicht man die umso besser. Da geht es um Liebe und Herzschmerz, also Themen, die Jugendliche in allen Kulturkreisen bewegen.