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Archiv-Artikel

„Ein geniales Allround-Handwerk“

FRAUEN UND TECHNIK Schon als Kind verbrachte Susanne Pauli viel Zeit in der elterlichen Tischlerei in Braunschweig. Anfang September organisiert sie das bundesweite Treffen für Tischlerinnen und Holzfachfrauen in Groß Wittfeitzen im Wendland

Auf Schränke, Möbel, Regale und Einbauküchen jenseits der Norm hat sich Susanne Pauli spezialisiert

VON KAI BÖHNE

Der Geruch von zersägtem Holz, das Kribbeln von Sägemehl in der Nase und Maschinengeräusche vor dem Frühstück sind Susanne Pauli wohl vertraut. Denn ihre Kindheit verbrachte sie in der elterlichen Tischlerei in Braunschweig. Später dann machte sie selbst eine Ausbildung zur Tischlerin. Bereut hat sie diese Entscheidung nie.

Gemeinsam mit sechs Kolleginnen organisiert sie vom 4. bis 7. September das bundesweite Treffen für Tischlerinnen und Holzfachfrauen im wendländischen Groß Wittfeitzen, knapp 20 Kilometer westlich von Lüchow. Das Fachtreffen, bei dem inzwischen schon zum 25. Mal weit über 100 Handwerkerinnen zusammenkommen, hat Tradition. In den Workshops geht es um Bauphysik, Hochstelzen bauen, Vorbereitung auf die Wanderschaft, Schellack polieren, erfolgreiches Verhandeln, Internetpräsenz und persönliches Marketing.

„Mein Vater hätte es gern gesehen, wenn ich die elterliche Tischlerei übernommen hätte“, sagt Susanne Pauli. Dazu ist es allerdings nicht gekommen. Die Tischlermeisterin ist ihren eigenen Weg gegangen. „Nach dem Abitur wollte ich erst mal etwas von der Welt sehen“, sagt sie.

Ihre Lehre zur Schreinerin machte sie nach dem Schulabschluss 1985 in der Nähe vom Bodensee. Dort werden die Holzspezialisten, wie im Süden Deutschlands üblich, Schreiner genannt. Auch wenn die offizielle Berufsbezeichnung laut Handwerksordnung Tischlerin lautet.

Auch im deutschsprachigen Ausland ist man sich nicht einig: Die Schweizer sprechen vom Schreinern, die Österreicher vom Tischlern. Susanne Pauli hat beide Bezeichnungen in ihrer Person vereint: Ihr Gesellinnenbrief weist sie als Schreinerin aus, ihre Meisterprüfung schloss sie als Tischlermeisterin ab.

Nachdem sie ihre Lehre abgeschlossen hatte, sammelte sie auf Zwischenstationen weitere Erfahrungen: Die Suche nach kollektiven Strukturen verschlug Susanne Pauli Ende der 80er-Jahre nach Berlin. In den dortigen Bauprojekten waren ihre handwerklichen Fähigkeiten gefragt. Sie betreute Jugendliche, half ihnen bei der Berufsorientierung und bereitete sie für eine Ausbildung vor. Ein Jahr lang besuchte sie in Vollzeit die Meisterschule, die sie 1996 mit dem Meisterbrief verließ.

Ein Jahr später zog sie nach Göttingen um und setzte dort als Tischlermeisterin ihre Ausbildungsarbeit mit benachteiligten Jugendlichen und Erwachsenen in verschiedenen Projekten fort. Ende 2005 machte sie sich mit einer eigenen Tischlerei in einer Werkstattgemeinschaft selbstständig.

Heute arbeitet die Tischlermeisterin selbstbestimmt und unabhängig in einer Werkstattgemeinschaft in Klein Lengden in der Nähe von Göttingen. Dort fertigt sie Einzel- und Einbaumöbel und übernimmt die Gestaltung von Wohn- und Arbeitsräumen. Die verschiedenen Arbeitsstationen haben sich für Susanne Pauli ausgezahlt. Heute vertritt sie die Auffassung, dass das Tischlern ein geniales Allround-Handwerk ist.

Auf Schränke, Möbel, Regale und Einbauküchen, die sich außerhalb der Norm bewegen, hat sich Pauli spezialisiert. Diese passt sie bei ihren Auftraggebern in Nischen oder Dachschrägen ein. Sie fertigt auch Raumteiler oder übernimmt Wand- und Deckenverkleidungen. Für einen Göttinger CD-Laden hat sie den Ladenausbau übernommen. Die gesamte Inneneinrichtung hat sie aus Massivholz gefertigt. „Das war ein angenehmer und reizvoller Auftrag“, betont sie. Susanne Pauli hat ihr eigenes Profil entwickelt. Durch die zunehmende Technisierung im Alltag steigt das häusliche Bedürfnis nach Individualität, sodass kreative Ideen, ökologisches Arbeiten und hohes Qualitätsbewusstsein von Tischlerinnen auch in Zukunft gefragt sein werden. „Ein großer Teil meiner Kundinnen und Kunden fühlt sich davon angesprochen, dass ich eine Frau im Tischlerberuf bin“, hat Susanne Pauli erlebt. „Genau deswegen“, ist sie überzeugt, „kommen sie zu mir.“ Erst seit einigen Jahren nimmt Pauli am Tischlerinnentreffen teil. Aber das Wissen um die jährlich stattfindende Einrichtung habe sie schon ihr ganzes Berufsleben begleitet.

Besonders angesprochen fühlt sie sich von den „selbstorganisierten Strukturen, ohne Hierarchie und Vereinsmeierei – und von den vielen tollen Frauen, die erhebliche Zeit und Energie in dieses Netzwerk stecken“. Deshalb zögerte sie nicht, sich beim diesjährigen norddeutschen Vorbereitungsteam zu engagieren. Dort ist Pauli Anlaufstelle und Ansprechpartnerin für Fragen von interessierten Frauen und sonstige organisatorische Anfragen. Sämtliche Anmeldungen zum Treffen laufen in ihrer Werkstatt ein. Gut 120 Teilnehmerinnen sind es bereits.