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Archiv-Artikel

Angst vor Heß-Mausoleum gebannt

NPD-Anwalt Rieger spekulierte offenbar auf eine Immobilie im fränkischen Wunsiedel. Dem kam das Rathaus zuvor

BERLIN taz ■ Aus Angst vor einem rechtsextremen Veranstaltungszentrum hat die Stadt Wunsiedel eine leerstehende Gaststätte aufgekauft. Für das einstige Gourmetlokal habe ein „konkretes Angebot“ des vermögenden NPD-Multifunktionärs Jürgen Rieger vorgelegen, teilte Bürgermeister Karl Willi Beck (CSU) gestern mit. Dieses Angebot sei nach Einschätzung des bayerischen Verfassungsschutzes „absolut realistisch“ gewesen.

Vor etwa zwei Wochen war öffentlich geworden, dass Rechtsextreme ein Auge auf das leerstehende Areal geworfen hatten. Die örtliche Neonazi-Kameradschaft protzte auf ihrer Internetseite, dort solle schon bald ein „Rudolf-Heß-Gedächtnis- und Dokumentationszentrums“ eröffnet werden. Die Besitzerin stehe mit dem NPD-Vorstandsmitglied Rieger in Verhandlung. Das Gebäude solle der NPD auch als „nationales Schulungs- und Bildungszentrum“ dienen.

Allerdings war unklar, ob es sich dabei um eine Finte handelte. Verfassungsschützer warnen seit einiger Zeit davor, dass Hausbesitzer die Angst vor den Rechtsextremen als Druckmittel nutzen könnten, um eine Kommune zum Kauf überteuerter Schrottimmobilien zu nötigen. So hatte der rheinland-pfälzische Innenminister Karl Peter Bruch (SPD) letztes Jahr einer Gemeinde vehement vom Notkauf eines Gasthofs abgeraten. Seine Befürchtung: „Die NPD täuscht Immobiliengeschäfte mit notleidenden Geschäftsleuten vor, um auf diese Weise Geld zu schöpfen.“ Zwar hat der vermögende Neonazi-Anwalt Rieger in den vergangenen Jahren für die rechtsextreme Szene mehrere große Immobilien in Deutschland gekauft, auch er wird allerdings von Verfassungsschützern verdächtigt, sich an solchen Pokergeschäften zu beteiligen. Letztes Jahr hatte Rieger 3 Millionen Euro für ein Schrotthotel in Delmenhorst geboten – aus Angst kaufte die Stadt das überteuerte Objekt.

Im Wunsiedel schätzten Sicherheitsbehörden die Lage aber offenbar als ernst ein. Auch, weil die fränkische Gemeinde einen besonderen Symbolwert für die rechtsextreme Szene hat. Denn in Wunsiedel liegt Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß begraben. Zu dessen Todestag hatte Rieger dort regelmäßig Gedenkmärsche veranstaltet. In den vergangenen zwei Jahren wurden diese jedoch verboten. Daher, so die Befürchtung, hätte Rieger einiges dafür gezahlt, um sich über den Kauf einer Immobilie dauerhaft in Wunsiedel einzunisten.

Wie viel die Stadt nun investiert, um dieses Szenario zu verhindern, wollte der Bürgermeister gestern nicht sagen. Der Kaufpreis sei zwar für die Stadt „nicht einfach aufzubringen“, liege aber „deutlich unter“ dem Angebot Riegers. Nun suche man einen Pächter für das Lokal.

Was aber, wenn Rieger demnächst wieder mit einem Angebot für ein anderes Gebäude wedelt? Wunsiedels Bürgermeister versicherte gestern, die Stadt sei nicht erpressbar. Allerdings richtete er auch einen Appell an alle Grundbesitzer, sie sollten sich auf ihre Verantwortung für die Stadt besinnen, in der sie leben. Geschäfte mit Rechtsextremen könnten nicht als „Kavaliersdelikt oder Cleverness“ abgetan werden. ASTRID GEISLER