Das Glück muss kein Kind sein

Ich lebe mit einer Lesbin und einem Schwulen in einer WG zusammen. Gelernt habe ich von ihnen vor allem, sich selbst und die eigene Sexualität ständig zu hinterfragen. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis kommen die Worte homo- oder heterosexuell eigentlich nicht vor. Obwohl oder vielmehr weil sich viele von ihnen entweder nur oder auch von Menschen gleichen Geschlechts angezogen fühlen. Sich anhand der sexuellen Vorlieben kategorisieren zu lassen lehnen die meisten ab. Deshalb möchte ich anonym bleiben.

Was für mich und meine Freunde gilt, ist allerdings längst noch keine Norm. Ich lebe in einer Kleinstadt, in der das öffentliche Ausleben gleichgeschlechtlicher Sexualität, Küsse oder Berührungen, abwertende Kommentare und Blicke nach sich ziehen kann.

Das hängt erfahrungsgemäß aber nicht mit der Größe einer Stadt zusammen, sondern mit der Engstirnigkeit der Menschen, die in ihr leben. Mein Umfeld hat mich stark dafür sensibilisiert, wie ich mich selbst wahrnehme. Gerade in Bezug auf meine Ausdrucksweise, die Konstruktion von Geschlechterrollen und Normvorstellungen. Aber auch dafür, wie sehr ich selbst unbewusst von meiner Sexualität bestimmt werde. Ich finde es sehr bereichernd, dass in meinem Umfeld die Norm vom Kinderkriegen und Heiraten nicht existiert. Ich weiß jetzt außerdem, was es bedeutet, diskriminiert zu werden, nur weil man von der Mehrheitsgesellschaft abweicht.

Das Wichtigste, was ich von homo- oder bisexuellen Menschen lernen durfte, ist aber für mich nicht auf ihre sexuelle Orientierung zurückzuführen. Ich habe von ihnen gelernt, weil sie klug, selbstbewusst, interessiert oder emphatisch sind. Aber nie, weil sie homosexuell sind. (Protokoll: Philipp Rhensius)