: Am Ende war das Wort
Normal ist gar nichts. Das habe ich von meinen schwulen Freunden gelernt. Bevor ich tatsächlich richtig befreundet war mit einem Mann, der einen anderen Mann liebt, habe ich mir nie Gedanken über Heteronormativität gemacht. Ich kannte noch nicht mal das Wort. Der Begriff „normal“ schien mir total neutral. Er bedeutete so etwas wie langweilig oder selbstverständlich. Wenn man aber etwas für nicht normal hält, dann ist es schnell eine Beleidigung. Die einen sind normal, die anderen sind homosexuell. Das ist eine Ausgrenzung. Aber als schwuler Mann kann man eben auch total normal sein. Dass man das sogar für erstrebenswert halten kann, habe ich von einem anderen schwulen Mann gelernt.
In der taz war ich mal die Quotenhete. Man hat mich liebevoll und ein bisschen spöttisch so genannt. Ich war beim Wochenendmagazin taz.mag die einzige Frau in einem Ressort voller schwuler Männer. Schwierig war das nur, wenn die Ressortsitzungen in die Schwulensauna verlegt worden sind. Vielleicht war es bei uns ein bisschen irrer als anderswo. Aber das lag, glaube ich, mehr an den Charakteren als am Sex. Von meinen Freunden und Kollegen, die Männer liebten, habe ich viel über Männer erfahren. Schwule und Nichtschwule. Zum Beispiel, dass man nicht alles totdiskutieren und -klären muss. Wenn es Krach in unserem kleinen Goldfischbecken gab, dann konnte man den einfach ausräumen, indem man ein paar Frivolitäten austauschte. In einem Shakespeare-Stück nennt man das Comic Relief, übertragen könnte man unsere Taktik „Sexistic Relief“ nennen. Mit Lesben hätte das vermutlich nicht so gut geklappt. Aber mit Männern, die Männer lieben, habe ich eben sehr viel gemeinsam.
Ich habe noch Tausende andere Sachen von meinem schwulen Freund gelernt. Aber die haben mit der Tatsache, dass er einen Mann liebt, nichts zu tun. Das ist genauso normal, wie nichts normal ist.
■ Judith Luig war von 2001 bis 2009 in allen möglichen Funktionen in der taz, am längsten jedoch im taz.mag. Momentan beschäftigt sie sich mit dem Phänomen der „Otherhood“. Im November erscheint ihr neues Buch über „Mamamorphosen“ bei Rowohlt