: Lieber schöner leiden
ZWEITE LIGA Vor dem Frankenderby am Montag mobilisiert Absteiger 1. FC Nürnberg die ganz großen Gefühle. Schließlich geht es gegen die verhasste SpVgg aus dem nahen Fürth
VON CHRISTOPH RUF
Natürlich haben sie auch am Sonntag wieder alle brav betont, wie schön es sei, bei einem Traditionsverein zu spielen, bei einem neunmaligen deutschen Meister, dessen Stadionlied weder vor dem Einsatz von Panflöten noch dem Refrain „Die Legende lebt“ zurückschreckt. Jakub Sylvestr, der das Nürnberger Siegestor gegen Aue erzielt hatte, lobte also ebenso brav die Unterstützung der 37.000 Fans wie Zugang Alessandro Schöpf. Worte wie „kolossal“ und „gigantisch“ fielen.
21.500 Dauerkarten hat man vor dieser Saison verkauft, Anfang Juli, zum ersten Training unter Neucoach Valérien Ismaël kamen 3.000 Fans. Und zum Saisonstart gegen Aue waren alle Werbebanden in der Kurve mit Fanklubtransparenten verhängt, die ein angemessen pathetisches Motto zierte: „Ich bereue diese Liebe nicht“.
Das spricht für die Leidensfähigkeit der Club-Fans, deren Verein seit Mai auch den traurigen Titel „deutscher Rekordabsteiger“ trägt: Acht Mal musste der FCN runter in die Zweite Liga.
Nach dem Abstieg in der vergangenen Saison wird nicht weniger erwartet als der sofortige Wiederaufstieg. Allerdings hat der 1. FC Nürnberg fast seine komplette Stammelf verloren, darunter mit Josip Drmic, Daniel Ginczek oder Hiroshi Kiyotake echte Klassespieler. Trotz eines beträchtlichen Transferüberschusses von weit über zehn Millionen Euro scheinen Club-Sportdirektor Martin Bader und Trainer Ismaël im Gegenzug auch Transfers getätigt zu haben, die als Kompensation fungieren könnten. Sylvestr, der für Erzgebirge Aue in 23 Zweitligaspielen zwölfmal traf, weiß ebenso wie Peniel Mlapa, der aus Mönchengladbach kommt, wo das Tor steht. Schöpf überzeugte gegen Aue ebenso wie die beiden Neuzugänge auf den defensiven Außenbahnen, Tobias Pachonik und Cristian Ramirez. Alle drei sind erst 19 Jahre alt und stehen für die radikale Verjüngung des Kaders durch Ismaël.
In der Vorbereitung und beim Ligastart gegen Aue wirkte das Team des ehemaligen Wolfsburger Nachwuchscoachs dennoch bestens eingespielt, auch aufgrund seiner spielerischen Qualität dürfte der FCN Topfavorit für den Wiederaufstieg sein.
Die Perspektiven scheinen also prächtig zu sein im Fränkischen – hätte der Spielplan das Derby gegen die SpVgg Fürth nicht ausgerechnet sehr früh gelegt. Raphael Schäfer, langjähriger Kapitän des FCN, setzte sich nach dem letzten Derby – einer 0:1-Heimniederlage 2012/2013 – ziemlich tief in die Nesseln, als er den an sich schlüssigen Satz formulierte, er verliere lieber das Derby und halte im Gegensatz zum Sieger die Klasse. Die Club-Fans sahen es nämlich genau andersherum.
Auch deshalb zeigen derzeit vom Trainer bis zum Neuzugang alle, dass ihnen die Tragweite des Spiels am Montag bewusst ist: „Natürlich fiebern hier alle dem Derby gegen Fürth entgegen“, gab Ismaël am Sonntag bekannt.
Wohl wahr: Kurz vor Abpfiff der Partie gegen Aue erschien in der Nürnberger Nordkurve ein Transparent, das man als Aufforderung und Warnung zugleich interpretieren konnte: „Niemals hinter Fürth!“ Dass der FCN wohl in absehbarer Zeit nicht mehr Meister werden wird, haben die Fans der Franken akzeptiert. Doch für die meisten Club-Fans wäre es die größtmögliche Schmach, wenn ihr Verein mittelfristig von den fleißigen Grün-Weißen aus der Nachbarstadt überholt würde. Für Außenstehende mag das überraschend sein, schließlich spielten die Fürther jahrzehntelang keine Rolle im bezahlten Fußball. Doch die wechselseitige Abneigung, die schon in den 20er-Jahren virulent war, hat verschiedene Republiken und Ligen überdauert und wird von den Ultraszenen beider Vereine liebevoll gepflegt. Während in Fürth seit Tagen die Hydranten mit Aufrufen gepflastert sind, alle Sympathisanten der Grün-Weißen möchten sich am Montag schon vier Stunden vor Anpfiff sammeln und gemeinsam zum Stadion marschieren, warteten Anhänger des FCN mit einer Provokation auf: im Internet präsentierten sie eine Fotomontage, die eine Fürther Blockfahne zeigt. Es war das Exemplar, das bei einem Überfall auf den Treffpunkt der Fürther Ultras erbeutet worden war.