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Archiv-Artikel

Baggern für die Forensik

„Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt“, sagt Ingrid Kibilka, Vorsitzende des Planungsbeirats Köln

AUS DORTMUND UND KÖLNHOLGER PAULER

Die Belgier sind schon lange weg. Sie haben die Kaserne am Ende des vergangenen Jahrtausends verlassen. Vor sechs Jahren mussten schließlich auch knapp 400 Flüchtlinge weichen, die in den ehemaligen Soldatenunterkünften untergebracht waren. Untersuchungen hatten Fäkalkeime im Grundwasser entdeckt. Seitdem ist das Gelände der ehemaligen Passendale-Kaserne in Köln-Porz verwaist – vorrübergehend. Ende 2009 soll hier eine forensische Klinik für psychisch kranke und drogenabhängige Straftäter im so genannten Maßregelvollzug entstehen. Die Berge aus Schrott und Sand, die das Gelände derzeit überdecken, sollen bis zum Sommer verschwunden sein. Der Spatenstich ist für den Herbst geplant – wenn nichts mehr dazwischen kommt.

Unwahrscheinlich ist das nicht. Denn Ärger hat es in der Vergangenheit genug gegeben. Zuerst waren es die Anwohner, die gegen die Klinik auf die Straße gingen. Doch irgendwann ebbte der Widerstand ab. Nach zweimonatigem Streit mit der Landesregierung hat sich nun auch der Planungsbeirat entschlossen, das Projekt demnächst wieder konstruktiv zu begleiten – auch um den Bau nicht zu gefährden. Das Maßregelvollzugsgesetz NRW von 1999 sieht den Beirat für jede forensische Klinik vor. Vertreter aus dem öffentlichen Leben, der Kirchen und Behörden sollen zwischen Klinik und der zumeist misstrauischen Bürgerschaft vermitteln. So auch in Köln.

Doch der Beirat hatte im Dezember seine Arbeit plötzlich niedergelegt. Der Grund: Die Zahl der vorgesehenen Therapieplätze war um rund 20 Prozent von 126 auf 150 erhöht worden, um dadurch wirtschaftlicher arbeiten zu können. Außerdem kam der Landesregierung plötzlich der Gedanke, dass die Turnhalle für die Gefangenen überflüssig sei. Leider hatten die Beiratsmitglieder in Köln von den Plänen der Landesregierung erst aus der Presse erfahren.

„Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt“, sagt Ingrid Kibilka, Vorsitzende des Planungsbeirats. Uwe Dönisch-Seide, Landesbeauftragter für den Maßregelvollzug, hatte angekündigt, mit allen Beteiligten über die Sparpläne zu reden. Nachdem das Land aber plötzlich den Gesprächen vorgegriffen hatte, waren die Beiratsmitglieder beleidigt. „Wir waren sauer, dass die Landesregierung bei einem derart sensiblen Thema so unsensibel vorgeht“, sagt Kibilka. Die Pfarrerin fragt sich, wie sie den Anwohnern Ängste vor Sicherheitslücken nehmen soll, wenn die Verantwortlichen sich so ungeschickt verhalten. Eigentlich stehe sie hinter dem Konzept, doch mittlerweile denke sie sogar darüber nach, die Brocken hinzuschmeißen. „Von den ursprünglichen Plänen ist kaum noch etwas übrig“, sagt Kibilka. „Der Planungsbeirat ist zu einem Pseudo-Gremium verkommen.“

Statt 36 Millionen will das Land nur noch 32 Millionen bereitstellen. Immerhin knickte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) schließlich doch noch ein. Er versprach, dass die Turnhalle in jedem Fall komme und er garantiere Bürgern und Personal, dass an der Sicherheit garantiert nicht gespart werde.

Die Patienten seien teilweise über sechs Jahre eingesperrt und brauchten daher eine abwechslungsreiche Therapie, sagt Miguel Freund, Leiter des Maßregelvollzugsamtes beim späteren Klinikbetreiber Landschaftsverband Rheinland (LVR). „Die Turnhalle ist daher wichtig.“ Bei den Belegungszahlen habe er ebenfalls Bedenken. In der forensischen Klinik Langenfeld seien lediglich zehn bis 14 Personen auf einer Station untergebracht. „Das ist optimal“, sagt Freund. „18 wären auch noch okay.“ Alles was darüber hinaus gehe, könne zu Problemen führen. Das Land plant derzeit mit 20 bis 22 Patienten pro Station. „Wirtschaftlich sind die Pläne nachvollziehbar“, so Freund.

Landesweit werden im Maßregelvollzug derzeit mehr als 2.000 Patienten behandelt – obwohl nur knapp 1.300 Plätze zur Verfügung stehen. Im Rheinland hat sich die Belegungskapazität dermaßen zugespitzt, dass auf den 757 Behandlungsplätzen in Bedburg-Hau, Düren, Langenfeld und Viersen rund 1.030 Patienten untergebracht werden müssen. Dies entspricht einer Überbelegung von rund 36 Prozent.

Um den Notstand zu beheben, hatte die damalige Gesundheitsministerin Birgit Fischer (SPD) vor fünf Jahren den Neubau von sechs forensischen Kliniken mit insgesamt 470 Plätzen beschlossen. Duisburg, Dortmund, Essen, Köln, Münster und Herne sind als Standorte vorgesehen. Die Klinik in Dortmund wurde Anfang 2006 eröffnet, die anderen sollen bis spätestens 2009 folgen. Fischers Nachfolger Laumann betont nun, am Konzept der Dezentralisierung im Maßregelvollzug festzuhalten – trotz der angekündigten Einsparungen.

Dass es auch nach der Eröffnung Ärger gibt, müssen die Mitarbeiter und Begleiter der forensischen Klinik in Dortmund-Aplerbeck erfahren. Seit der Eröffnung im vergangenen Jahr gab es immer wieder neue Anpassungen. „Sechs Jahre lang hat man uns in die Hand versprochen, dass die Klinik 54 Plätze haben wird. Kaum war sie eröffnet, kündigt man die Erweiterung an“, sagte Friedrich Stiller, Vorsitzender des Beirates. Wegen immer neuer Kommunikationsprobleme mit dem Land hat der Beirat seine Arbeit sogar für ein halbes Jahr ruhen lassen.

Bei der Eröffnung der Klinik vor gut einem Jahr suchte Stiller den Dialog mit Anwohnern und Besuchern. So genannte „Nachbarschaftstage“ lockten im Januar 2006 mehr als 5.000 Menschen in die forensische Klinik, um ihnen das Innenleben vorzustellen. Die Trakte sind durch Glastüren von einander getrennt, die Flure hell ausgeleuchtet. Fünfeinhalb Meter hohe Mauern umranden die Höfe aus roter Asche. Der Beton ist spiegelglatt, er bietet keinen Halt, die Kopfenden sind abgerundet. Die Ein- und Zweibettzimmer sind spartanisch eingerichtet: Bett, Waschbecken, Dusche und WC. Die Fenster aus Panzerglas lassen sich nur einen Spalt breit öffnen, damit niemand durchpasst. Gitter gibt es keine. „Es ist wichtig, dass die Leute sich vor Ort ein Bild machen, damit sie sehen, dass es sich hier nicht um ein Luxushotel mit etlichen Freiheiten handelt“, sagte ein Pfleger.

Der Bau der Klinik hatte in Dortmund anfangs massive Proteste hervorgerufen. Nach dem Beschluss der rot-grünen Landesregierung vom 21. November 2000 versuchte Gesundheitsministerin Fischer, den Anwohnern das Konzept näher zu bringen. Dabei stieß sie auf Widerstand. Mehr als 1.000 Menschen beteiligten sich anfangs an den Protesten. „Mit der Zeit wurde die Kritik aber weniger“, sagt Karl G. Donath, Sprecher des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Irgendwann seien es nur noch 500 gewesen, am Ende nur noch eine Hand voll. „Unser Dialog hat dazu beigetragen.“ Das undurchsichtige Spiel der Landesregierung könnte das Vertrauen wieder schwinden lassen.

Wie schwierig es ist, Überzeugungsarbeit zu leisten, muss auch der Beirat in Herne erfahren. „Leider läuft die konkrete Planung derzeit etwas an uns vorbei“, sagt Klaus Marquardt, Sprecher des Arbeitskreises Forensik und Mitglied des Beirates. Bislang ist das Gremium nur provisorisch. Knackpunkt ist der Widerstand der Kommune gegen den Standort im Stadtteil Bickern. Vor mehr als drei Jahren hatte die Stadt unter anderem mit den Stimmen von SPD, CDU, FDP und Grünen gegen den Bau auf dem Gelände einer ehemaligen Zeche geklagt. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster hatte erklärt, dass „die Pläne für den Bau einer Maßregelvollzugsklinik für psychisch kranke Straftäter in Herne zulässig“ seien. Eine Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen. Die Beschwerde der Stadt läuft derzeit noch. Zuvor war die Klage bereits vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen als unbegründet abgewiesen worden.

„Wir gehen davon aus, dass in drei bis vier Monaten endgültig der Weg für den Neubau frei ist“, sagt Marquardt. Dann würden sich auch die klagenden Parteien an den Planungen beteiligen. Die Grünen haben bereits ein Mitglied in den Beirat entsandt und auch die SPD-Fraktion hat ein Entgegenkommen signalisiert.

Veränderungen an den Bauplänen gibt es auch hier: Die Klinik soll von einem Zaun statt einer Mauer umgeben werden, statt fünf Stationen mit 18 Betten soll es vier Stationen mit 20 Betten geben und wie in Köln soll auch hier die Turnhalle wegfallen. „Die Kosten im Bereich der Sicherheit sind in den vergangenen Jahren gestiegen, deswegen können bestimmte Dinge scheinbar nicht realisiert werden“, sagt Klaus Marquardt.

Letztendlich wird das Konzept der Dezentralisierung des Maßregelvollzugs in NRW dennoch umgesetzt werden. Die Klinik in Dortmund ist bereits eröffnet, in Duisburg, Essen, Köln und Münster soll demnächst mit dem Bau begonnen werden und auch in Herne sieht es so aus, als sei die Klage der Stadt aussichtslos. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik wird durch ständige Einsparungen allerdings kaum zunehmen. „Das Misstrauen wächst stetig“, sagt die Kölner Beiratsvorsitzende Ingrid Kibilka stellvertretend für ihre KollegInnen an den übrigen Standorten.