: Der Eiertanz des Messias
DILEMMA Für die Anhänger von Carlo Petrini wird die Slow-Food-Bewegung mehr und mehr zu einer Ersatzreligion. Mit allen Widersprüchen
■ Der Mann: Petrini, 61, stammt aus dem Piemont. Er studiert Soziologie, probiert sich an Politik und Piratenradio, schreibt Weinführer, arbeitet als Food-Journalist u. a. für Il Manifesto. 1986 gründet er „Slow Food“, 2004 holt er 5.000 Bauern aus aller Welt zum ersten „Terra Madre“-Treffen nach Turin.
■ Das Buch: In „Terra Madre“ beschreibt Petrini, wie „ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen Mensch und Mutter Erde“ zu erreichen ist (Hallwag, 188 Seiten, 17,90 Euro)
VON THOMAS WINKLER
Die Frau muss etwas loswerden. Es ist ein Loblied auf die Galloway-Rinder, die sie im Nordosten Berlins auf ihrem Hof züchtet. Diese „unsere Raufutter-Verwerter“ leisteten Erstaunliches, sie verwandeln Heu und Gras zu Milch und Fleisch. „Versuchen Sie das mal selbst“, fordert die Frau vom Publikum, das angesichts dieser Aufforderung ertappt dreinblickt. Man müsse, sagt sie, ein begeistertes Flackern im Blick, die Kühe „täglich auf die Nase küssen“ vor Dankbarkeit: „Wenn wir uns für Fleisch entscheiden, dann für welches vom Feinsten.“ Aus dem losbrechenden Applaus spricht wohl die Erleichterung, dass es Tiere gibt, die sich glücklich schätzen, die wenig attraktive Verwertung von Raufutter zu übernehmen und anschließend auch noch verspeist zu werden.
Die Frau heißt Sonja Moor, sie ist eine ehemalige Fernsehproduzentin – und hat es als Ehefrau des Fernsehmoderators Dieter Moor und Landwirtin des gemeinsamen Biobauernhofes in der brandenburgischen Einöde in den letzten Jahren zu einer gewissen Bekanntheit gebracht. Nun bringt Moor dem Publikum im Spiegelzelt in der Nähe des Potsdamer Platzes gute Stimmung – die hatte Carlo Petrini zuvor etwas verdorben.
Petrini, der Gründer von „Slow Food“, war nach Berlin gekommen, um am Rande der Internationalen Filmfestspiele sein neues Buch „Terra Madre“ vorzustellen. Seine Lesung fand im Rahmen der Berlinale-Reihe „Kulinarisches Kino“ statt. In der wird sonst eher verkostet und probiert, Sterneköche diskutieren ihre Rezepte.
Als „Slow Food“-Papst hätte sich der 61-jährige Italiener, so durfte man es erwarten, in diesen Rahmen einpassen sollen. Propagiert doch die von ihm angestoßene Bewegung eine Genusskultur, die sich ihrer eigenen Verantwortung durchaus bewusst ist, lokale Produkte bevorzugt, Traditionen stärken will und doch das fröhliche Schlemmen ziemlich prima findet.
Aber an diesem Tag schlägt Petrini einen anderen, kämpferischen Ton an. Das Publikum – überwiegend weiblich, jenseits der 40, gepflegt, gut situiert – macht den Eindruck, es sei gekommen, um sich bestätigen zu lassen, dass es ein richtiges Leben im falschen geben kann – wenn man nur bereit ist, genug Geld auszugeben für seinen Balsamico. Aber stattdessen schimpft Petrini auf die „Edelküche“, die nur „Tand und Spielerei“ produziere und eine „Pornografie des Essen“ befördere. Dann deutet er auf die Bühnendekoration, eine überlebensgroße Abbildung einiger Starköche, und donnert: „Nächstes Jahr will ich hier stattdessen Bauern sehen.“
Mit dieser Götzenverdammung verstört Petrini, bis der Auftritt von Sonja Moor die Stimmung wieder geraderückt, seine Anhängerschaft immerhin kurzfristig. Durfte die doch bislang das Gefühl genießen, eine spirituelle Heimat bei „Slow Food“ gefunden zu haben. Schließlich erfüllt die Bewegung durchaus die Funktion einer Ersatzreligion für moderne Stadtmenschen, die sich in einer säkularisierten Gesellschaft vergeblich auf Sinnsuche begeben. Denn „Slow Food“ hat alles im Angebot, was eine Religion auszeichnet: Das Reich des Bösen und ein Reich des Guten, eine apokalyptische Prophezeiung, ein Erlösungsversprechen und sogar einen Messias: Petrini.
Das Böse, das sind die Fast-Food-Ketten, die Geschäftemacher von der Lebensmittelindustrie und die Menschen, die sich deren Produkte besinnungslos einverleiben. Im Reich des Guten dagegen genießen die Slow-Foodianer korrekt produzierte Lebensmittel, deren gehobene Preise eine avancierte Form des Ablasshandels darstellen. Diese Auserwählten stemmen sich gegen den Untergang, denn „unsere Zeit“, so Petrini in seinem Buch, „ähnelt in gewisser Weise der Epoche des Niedergangs des Römischen Reichs“. Die Religionsmetapher ist ihm selbst nicht fremd, vergleicht er doch die Pfarrgemeinden des damals aufstrebenden Christentums mit den lokalen Lebensmittelbündnissen aus Bauern und Konsumenten, die er seit 2004 alle zwei Jahre aus der ganzen Welt zu sogenannten Terra-Madre-Treffen nach Turin lädt. „Diese einfachen, würdevollen Leute“, die dort zusammenkommen, werden uns retten müssen, denn, so Petrini: „Terra Madre ist der einzige Weg, um den Übeln dieser Welt entgegenzutreten.“
Auch wenn er solche Erlösungsfantasien verkündet, lehnt er doch die Rolle als Messias ab. Den Versuch, die Slow-Food-Bewegung mit einer Religion gleichzusetzen, erklärt er im Gespräch freundlich, aber bestimmt zu einer „Dummheit der Journalisten“. Andererseits bezeichnet er seine Anhänger im nächsten Satz weitgehend unironisch als „Petrini-Jünger“. Aber deren Jesus will er auch nicht spielen, denn mit dem habe es ja „ein schlimmes Ende genommen“. Es ist ein Eiertanz, den Petrini da aufführt – mit großer Grandezza, aber hart in der Sache: „Terra Madre ist tatsächlich der einzige Weg zur Rettung.“
Dieser Weg beinhaltet allerdings, folgt man Petrini, und das mag manchen seiner Anhänger überraschen, nicht notgedrungen „Slow Food.“ Sollten sechs Milliarden Erdenbewohner auf die Idee kommen, sich nach diesen Prinzipien ernähren zu wollen „wäre das der absolute Untergang“. Gut zu essen und damit noch Gutes zu tun, das funktioniert vielleicht im Kleinen, offenbart im internationalen Maßstab aber ein grundsätzliches Problem, das Petrini so zusammen fast: „Genuss mit Engagement zu verbinden, scheint aus kulturellen und zugleich wirtschaftlichen Gründen unmöglich geworden zu sein.“
„Slow Food“ versprach einst die Auflösung dieses Dilemmas. Doch in seinem neuen Buch bleibt Petrini die schlüssige Beendigung dieses Gegensatzes schuldig, ohne aber die alten Ideen vollständig entsorgen zu wollen. „Wir brauchen die Dialektik“, lächelt er, fast ein wenig entschuldigend, „der Gedanke, ein einziges Gedankengebäude könnte ausreichen, die Welt zu retten, führt in die Irre.“ Seine Fans werden mit den Widersprüchen gut leben können. Zumindest solange es noch genügend glückliche Rinder gibt, die den Eindruck erwecken, das von ihnen zur Verfügung gestellte Steak könnte hilfreich sein dabei, ein schlechtes Gewissen abzubauen.