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Archiv-Artikel

Waffen für die Kurden, jetzt

IRAK Die USA haben sich endlich zu begrenzten Luftschlägen gegen die Organisation „Islamischer Staat“ entschlossen. Das wird nicht reichen

Wladimir van Wilgenburg

■ ist Spezialist für kurdische Politik und den Nahen Osten. Er schreibt regelmäßig für Al-Monitor und die Jamestown Foundation sowie für Near East Quarterly und World Affairs. Derzeit hält er sich in Erbil auf.

Vor gut einer Woche begannen die Extremisten der IS (Islamischer Staat) eine riesige Operation gegen die Kurden im Irak. Die Truppen eroberten in der Provinz Mossul die Städte Zummar und Sindschar. Am 7. August besiegten sie dann die christlichen Städte Karakosch, Tel Kaif, Bartella and Karamlisch. Gleichzeitig griffen sie Gwer und Makhmur an, die unweit der kurdischen Hauptstadt Erbil im Irak liegen.

Die andauernden Angriffe der IS führten zu einer Massenflucht von ethnischen und religiösen Minderheiten auf dem Land rund um Mossul. Als Erste flohen im Juni die Schiiten aus Tal Afar bei Mossul. IS-Anhänger töten schiitische Bürger problemlos.

Als Nächste mussten tausende Christen Mossul-Stadt verlassen, was im Gegensatz zur Verfolgung der Sunniten für großes internationales Aufsehen sorgte.

Jetzt sind die kurdischen Jesiden die nächsten Opfer. Sie werden seit dem Fall von Hussein 2003 verfolgt. Nach verschiedenen Schätzungen stecken mehrere Zehntausend von ihnen in den Bergen des Sindschar-Gebirges in der Nähe der syrischen Grenze fest und verfügen weder über Nahrung noch Wasser. Laut UN-Berichten sollen bereits mehr als fünfzig Kinder verdurstet sein.

Teilung des Irak verhindern

Die religiösen und ethnischen Säuberungen bestärkten die Befürchtungen, dass der Irak im Zuge eines fortschreitenden Bürgerkrieges womöglich schon bald entlang ethnischer Grenzen aufgeteilt würde. Um das zu verhindern, baten die irakischen Kurden die internationale Gemeinschaft um Hilfe. Die syrischen Kurden im Nachbarland stehen bereits seit einem Jahr unter Beschuss der IS. Doch die Kurden verfügen nicht über ausreichend schwere Waffen.

Zu Beginn fiel das nicht so ins Gewicht, denn die IS bekämpfte die kurdischen Gebiete noch nicht so massiv – mit Ausnahme der umstrittenen Gebiete um die Stadt Kirkuk (Zentrum der Erdölproduktion im Nordirak) und im Gouvernement Diyala, die von der Patriotic Union of Kurdistan (PUK) kontrolliert werden und näher an der Grenze zum Iran liegen.

Es kam auch zu Zusammenstößen in Gegenden, die von Masud Barzanis Kurdistan Democratic Party (KDP) kontrolliert werden. Die Kurden, und vor allem die KDP, gingen davon aus, dass die IS nicht an zwei Fronten gleichzeitig würde kämpfen können, also nicht gegen Bagdad und gegen die Kurden. Halgurd Hikmet, der Sprecher der kurdischen Armee, sagte mir vor nur wenigen Wochen: „Die kurdische Armee bewacht alle Grenzen, alle, es gibt keine direkten Kämpfe zwischen Daash (Arabisch für IS) und Peschmerga.“ Und so wurde im Parlament vor allem die kurdische Unabhängigkeit vorbereitet.

Nun aber hat sich die Situation völlig verändert. Präsident Masud Barzani hat eine Offensive zur Verteidigung der Grenzen der Autonomen Kurdischen Region angeordnet und schwere Waffen versprochen. Niemand redet mehr über die Unabhängigkeit, alle konzentrieren sich jetzt auf den Kampf gegen die IS. „Wir brauchen eine engere Kooperation [mit Irak und der USA], denn Daash hat viele schwere Waffen“, sagte Ali Awni, Mitglied der KDP, der an der Front kämpft.

Kurdische Überläufer

Doch noch geht der Blitzkrieg der IS weiter. Die Peschmerga versuchen zurückzuschlagen, doch die Truppen sind überfordert, untrainiert, sie benötigen dringend Unterstützung aus der Luft. Die Kurden haben schon früher gegen islamistische Milizen gekämpft. Doch nun stehen sie einer islamistischen Armee gegenüber, die schweres amerikanisches Kriegsgerät von der irakischen Armee erbeuten konnte und auch über Waffen aus dem benachbarten Syrien verfügt. Die Peschmerga brauchen unbedingt Waffen und Munition.

Ein weiteres Problem ist, dass auch einige irakische Kurden aus ideologischen Gründen zur IS übergelaufen sind. Diese Leute gingen zuerst nach Syrien, doch jetzt unterstützen sie die IS auch im Irak, wenn diese erst mal in kurdischen Gebieten einmarschiert ist. Zusätzlich werden die IS-Schläferzellen aktiv, sobald ihre Truppen sich bis in die Nähe von kurdischen Städten vorgearbeitet haben. „Vor den Angriffen auf Mossul waren etwa 200 junge Kurden Mitglied der syrischen IS, doch inzwischen hat sich ihre Zahl auf 400 verdoppelt“, sagt Mariwan Naqishbandi, der Sprecher des Ministeriums für Religiöse Angelegenheiten, KRG, gegenüber Bas News.

Vor wenigen Tagen, am 7. August, wurden IS-Positionen in Makhmur und Gwer aus der Luft angegriffen. Die USA wiesen jede Verantwortung dafür zurück. Doch egal wer diese Luftschläge durchgeführt hat, sie sind wichtig – und dennoch brauchen die Kurden mehr Waffen und Munition. Präsident Obama hat einen Tag darauf offiziell begrenzte Luftangriffe angeordnet, um Kurden und amerikanische Posten und die Menschen in den Sindscharer Bergen zu schützen. „Wenn die einmalige Chance besteht, ein Massaker zu verhindern, werden die USA nicht wegsehen.“

IS wird nach Europa kommen

Die Kurden gingen davon aus, dass die IS nicht zeitgleich gegen sie und gegen Bagdad kämpft. Das war eine Fehleinschätzung

Gleichzeitig betonte Obama in dem Interview mit dem US-Journalisten Thomas L. Friedman in der New York Times, dass die USA sich auf keine Seite schlagen werden. Weder wollten sie die Armee der Iraker noch die der Kurden werden. Doch begrenzte Luftschläge dürften nicht ausreichen, um die IS zurückzudrängen.

Demgegenüber sagte ein westlicher Sicherheitsberater, der anonym bleiben will: „Die Europäer müssen begreifen: Wenn sie den Krieg jetzt nicht beenden, dann werden Millionen Iraker und Syrer nach Europa fliehen und dort um Unterstützung ansuchen. Auch die IS wird nach Europa kommen. Wir müssen das Problem hier im Irak und in Syrien lösen, bevor es auf Europa übergreift.“ Deshalb schlug auch er vor, die Kurden mit besseren Waffen auszustatten, sie aus der Luft sowie mit westlichem Training und Spezialeinheiten zu unterstützen .

Die Hilfe für die Kurden sowohl im Irak als auch in Syrien dürfte eine der wenigen Optionen für den Westen sein, den Siegeszug der IS zu beenden. Noch lässt sich verhindern, dass die Lage ganz außer Kontrolle gerät.

WLADIMIR VAN WILGENBURG

Aus dem Englischen von Ines Kappert