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Archiv-Artikel

Lächeln gestattet, grinsen unerwünscht

Die Kunst des Flimmerns, der Täuschung und der indirekten Bilderzeugung: Die Prolegomena der „Op-Art“ sind in einer großen Schau der Frankfurter Schirn zu sehen. Die Dynamik schwarzweißer Felder trifft auf schnaufende Elektromotoren. Und die Junggesellenmaschine macht dazu Faxen

VON ULF ERDMANN ZIEGLER

Op-Art war eine Erfindung der Kritik, ein Begriff, der im Nachrichtenmagazin Time vom 23. Oktober 1964 zum ersten Mal genannt wurde und in den folgenden vier Jahren – statt empört zurückgewiesen zu werden – von Künstlern weltweit übernommen, mit Bedeutung aufgeladen und variiert wurde. Überfrachtet von Zukunftsideen und einem Ausschließlichkeitsanspruch, dem Vorläufer Futurismus ähnlich, blieb die Kunst der Täuschung, des Flimmerns und der indirekten Bilderzeugung eine Episode der Sechzigerjahre, von der globalen Museumsdynastie belächelt und gemieden, ein Kunstzwerg unter den Riesen von minimaler und konzeptueller Kunst, Land-Art, Happening und der immer greller leuchtenden Blüte der Pop-Art, als deren buchstabenamputierte Schwester „Op“ – „Optical“ – einst in Erscheinung getreten war.

Wer, wenn nicht die Frankfurter Ausstellungshalle mit dem Traditionsnamen Schirn, sollte sich des Themas annehmen? Würde es ein brummender Jahrmarkt werden wie die wilde Wiederbelebung der psychedelischen Kunst im „Summer of Love“; oder ein Tastversuch von den Anfängen eines Gedankens bis in seine Gegenwart wie die Ausstellung über „Nichts“? Die „Op-Art“ der Kuratorin Martina Weinhart ist etwas Drittes geworden, eine echte Gabi-Teichert-Arbeit, graben an den Wurzeln. In der Tat geht Weinhart so weit, die Gruppe Zero einzubeziehen, so dass eine weißgetünchte Kehle mit weißgetünchten Nägeln von 1959 als Störung des visuellen Felds historisiert wird; Günther Uecker als Op-Art-Künstler, darauf muss man erst einmal kommen.

Nimmt man die berühmten Namen dieser Ausstellung – Bridget Riley, Victor Vasarely und Jesus Rafael Soto –, sieht man mit Erstaunen den kuratorischen Zugriff: Die Werke haben keine Farbe bis zu Sotos „Progression Eliptica Rosa“ von 1974, ein durch Stäbe dargestelltes Volumen, aus dessen weißen Sockel ein zarter rosa Keil wächst. Selbst Vasarely ist repräsentiert durch zwei Frühwerke, in denen schwarzweiße Grafik durch darüber montiertes strukturiertes Glas in eine Art Anti-Relief verwandelt wird. Riley wird repräsentiert durch ihre frühen Schockergemälde, in denen sie die Dynamik schwarzweißer Felder, ihre Zuspitzung und Verknappung an das Maximum der Illusion führt und gleichzeitig dem Betrachter lakonisch unterjubelt, es sei alles nur wohl berechnet. Die drei Rileys hängen in Frankfurt so eng beieinander wie noch nie gesehen, ihre Argumente verschränken und potenzieren sich.

Die Gruppen der Rileys und der Sotos sind untypisch für Weinharts „Op-Art“, die eine Verschaltung von verdunkelten und nicht verdunkelten Räumen bietet, was der Unterhaltsamkeit der Ausstellung nützt, allerdings die geografischen und zeitlichen Bezüge nahezu undurchschaubar macht. Die drei singulären Rauminstallationen von Otto Piene, François Morellet und Gianni Colombo, zum Beispiel, sind im Parcours der Ausstellung weit gestreut, aber stammen sämtlich aus der Zeit von 1964 bis 1966.

Colombo lässt im dunklen Raum an zwei Wänden weiße Gitterstrukturen aufblitzen; dann wird der Raum auf hell geschaltet und man sieht die Projektoren wie riesige Insekten in Todesstarre an den Wänden sitzen: Schockerkunst. Morellet hat in der Mitte eines geschwärzten Saals ein Neongitter von der Decke abgehängt, das sich in einem tintenschwarzen Becken spiegelt. Über einen Hebel dürfen die Besucher das Becken aktivieren, wobei das Gitter in der Spiegelung spektakulär zerbricht, sich ineinander faltet, aber eigentümlicherweise für Bruchteile einer Sekunde wieder komplett erscheint, das Phänomen der Welle auf ihrem Scheitelpunkt: ein Do-it-yourself-Trip. Piene dagegen lässt die Besucher auf einem Bänkchen Platz nehmen, um an einem Spektakel teilzuhaben, das von drei automatisierten Lichtquellen ausgeht, Objekten im Raum, deren Elektromotoren zu hören sind; das Theater der Wohnzimmer-UFOs grundiert durch eine perforierte Wand, an der eine Nachthimmelminiatur erscheint und erlischt: die Laterna magica übersetzt in den White Cube.

Dass es der Betrachter sei, der das Kunstwerk vollende, ist ein Gedanke jener Zeit. Stärker aber ist der Glaube an eine dritte Kraft, die weder dem Autor des Werks zuzurechnen ist noch dem Publikum; und diese Kraft ist das Gesetz. Das Gesetz kann verschiedene Formen annehmen: als mechanische Herrschaft, als Prinzip der Täuschung, als analytische Selbstkritik künstlerischer Suggestion. Es ist wie auf dem Poster, das verkündete: „This is the first day of the rest of your life“, eine von Drohung gespeiste Paradoxie. Lächeln war gestattet, Grinsen unerwünscht.

Zieht man den Katalog zu Rate, stellt man fest, dass es sich um vergessene Künstler handelt, Leute, die in den Siebzigerjahren ihre letzten Einzelausstellungen hatten. Kann das sein? Nein, es kann nicht sein. Auch dies ist ein Kunstgriff, indem man die Biografien auf die Zeitgeschichte der Op-Art verkürzt, die Bibliografien allerdings aktualisiert hat. Innerhalb dieser Zeit, 1953 bis 1973, hat die Kuratorin auf die Anfänge geschaut, auf die ersten Schritte, und diese durch einige unschlagbar reife Werke ergänzt – den Erfolg, den Exzess und den Rummel um die Op-Art hat sie weggelassen, die ganze Selbststilisierung Vasarelys spielt in der Ausstellung keine Rolle, deren Katalog sicher nicht zufällig in schwarzweiße Grafik eingepackt ist.

Op-Art war im Kern eine Vor-68/69-Bewegung: vor dem Pariser Mai, vor den Morden an Luther King und Robert Kennedy, vor der Mondlandung, vor Woodstock. Es blieb der einzige gesamteuropäische Versuch, ein Bündnis des Stils herzustellen, von Düsseldorf bis Zagreb. Schnell war das Spiel mit riesig und winzig, mit Vorder- und Hintergrund aufgegangen im Interiordesign – Panton, Laverne, Ornella Noorda – und in der Mode Mary Quants.

Martina Weinhart schert sich um all das nicht und deutet die Op-Art über ihre Zusammenschlüsse: die Equipo 57 in Paris, die Gruppo N in Padua, die Gruppo T(empo) in Mailand, Zero in Deutschland; dann die Folgegruppen: das Centre de Recherche d’Art Visuel in Paris (GRAV) und der Movimento Immagine Dimensione 1964 in Mailand. Aus diesen Bezügen bestückt sie ihre Ausstellung, mit Leihgebern wie dem Kaiser-Wilhelm-Museum Krefeld, dem Musée d’Art Contemporain du Val-de-Marne oder der Galerie Denise René. Der stärkste einzelne Leihgeber ist das MART (von Trient und Rovereto).

Viele große Museen haben die Op-Art, sofern überhaupt angekauft, in den Depots verschwinden lassen. Die Mechanik bleibt in der Tat ein Problem, wie man in der ersten Woche der Ausstellung sehen kann. Allein fünf Elektromotoren haben die Eröffnung nicht überstanden, auch nicht Marina Apollonios begehbarer Kreisel (1967–1971), der vor dem Eingang der Schirn, in der Rotunde, als psychedelische Plattform Auferstehung feiern sollte. Die Kinetik soll, aber sie will nicht.

Die „Op-Art“ der Schirn ist eine legitime Fortsetzung der ausladenden „Lichtkunst aus Kunstlicht“-Schau im ZKM Karlsruhe letztes Jahr. Die Knappheit und Intensität der Frankfurter Ausstellung macht ihren Reiz aus. Es kann allerdings sein, dass die osteuropäischen Besucher die westeuropäische Fixierung etwas borniert finden werden. Was fehlt, ist der Übergang des Trompe-l’Oeil in die Farbfeldmalerei, wie er in Polen (bis heute!) zu beobachten ist, oder bei Kazys Varnelis, der lange in Chicago unterrichtet hat und schließlich nach Vilnius zurückkehrte: Dort findet man am zentralen Platz ein Museum, das nicht nur seine fantastisch inkommensurablen Kombigemälde zeigt, sondern auch seine umfassende Sammlung antiker Möbel und Objekte, eine Folge von 30 surrealen Period Rooms – eine häusliche Behutsamkeit im Detail, die auch im Osten rar, im westlichen Ausstellungsbetrieb aber unbekannt ist.

Es bleibt also kommenden Kuratoren unbenommen, die Op-Art als soziales Muster oder persönlichen Exzess oder in einer monografischen Ausstellung – doch Vasarely? – vorzuführen. Dass Bridget Rileys Arbeit in Deutschland nicht umfassend geehrt wird, verweist auf einen blinden Fleck, das Auge des Sturms gewissermaßen. Aber wenn es in dieser Ausstellung einen Hinweis gibt auf etwas, was kaum eingedrungen ist in unser Bewusstsein und unsere Praxis, dann ist es die Kunst Lateinamerikas. Es gab und gibt sie schon, in Form und Person Frida Kahlos, Orozcos, Boteros, als bunte und pathetische Kunst. Dieses Stereotyp ist in Europa angekommen wie Werner Herzogs Oper von Manaus oder der Buena Vista Social Club. Aber gerade das, was man im Rückblick eine klassische Moderne nennen würde, ist ein Wald von Namen geblieben. Zwei wichtige Lateinamerikaner, die Paris als Wohnsitz wählten, sind in Frankfurt dabei.

Luis Tomasellos „Atmosphère chromoplastique“ ist ein vereinzeltes, aber ein gutes Beispiel: 400 fliegende Würfel auf einer Fläche, alles Weiß in Weiß, mit einem orangefarbenen Schatten, der von der Rückseite der Würfel stammt. Ein vierhundertfaches Glimmen. Oder Jesus Rafael Sotos „Große Schrift“, ein fast schon abwegiger Versuch, mit gebogenen Drähten an die Traumschrift, an die Urschrift heranzureichen (Tomasello ist Argentinier und lebend, Soto vorletztes Jahr in Paris gestorben).

Übrigens: Wie jede „Bewegung“, wie jede Clubgeschichte bleibt „Pop-Art“ eine Männershow. Es wäre aber verwegen zu behaupten, dass man das sehe. Im Gegenteil, es gibt da einen Hang zur Travestie, einen Hang zum Überhang: Elektromotoren erzählen schnaufend und leise quietschend vom anderen. Die Junggesellenmaschine macht Faxen. Sie zwinkert. Wer sich unbeobachtet glaubt, zwinkert zurück.

Bis 20. Mai. Katalog 29,80 Euro