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Archiv-Artikel

„Ich bin ein Betrüger“

Am Sonntag werden die Oscars verliehen. Patrick Marber, für „Tagebuch eines Skandals“ nominiert in der Sparte Bestes adaptiertes Drehbuch, über die Frustrationen und das Glück des Drehbuchautors

INTERVIEW BARBARA SCHWEIZERHOF

taz: Herr Marber, Sie erzählen immer wieder, dass Sie von der Vorlage, Zoë Hellers „Tagebuch eines Skandals“, so begeistert waren. Wenn einem etwas so gut gefällt – wie fühlt man sich dann bei den zwangsläufigen Änderungen des Adaptionsprozesses?

Patrick Marber: Man fühlt sich schuldig! Ich habe Zoë Heller aber sämtliche Änderungen erklärt. Wir sind darüber gute Freunde geworden. Es gibt ein paar Dinge, die sie am Film nicht besonders mag, aber im Ganzen gefällt er ihr. Das Schuldgefühl geht jedoch nie ganz weg. Da liest man ein Buch, verliebt sich darin – und dann betrügt man es. Das entspricht eigentlich dem, was in „Tagebuch eines Skandals“ passiert. Ich fühlte mich wie Judi Denchs Barbara!

Die Sie im Film, anders als im Buch, viel deutlicher zur Lesbe machen.

Das war zunächst gar nicht meine Absicht. Sehen Sie, es gibt diese Szene im Kelleratelier, in der Barbara Shebas Arm streichelt. Im Film begreift man an dieser Stelle, dass Barbaras Begehren sexuell ist. Die Szene entspricht aber ganz genau der im Buch. Es zu sehen, ist eben anders, als es zu lesen. Im Buch ist es ein etwas peinlicher Moment, den Barbara beschreibt. Doch im Film wird daraus eine entscheidende, betroffen machende Szene. Nicht ich habe Barbara zur Lesbe gemacht, sondern es liegt am Medium Film, das die Dinge expliziter macht.

Welche Schwierigkeiten ergaben sich noch aus der Übertragung vom diskreten Medium Buch zum expliziten Medium Film?

Im Buch zum Beispiel begreift der Leser lange Zeit nicht, wie verrückt Barbara ist. Sie beschreibt sich ja selbst ganz anders, als sie ist – als Frau von Welt, mit scharfem Verstand und gewählter Ausdrucksweise. Im Film aber sieht man eine verhärmte alte Frau in einer schäbigen Wohnung und weiß sofort, dass sie sich allerlei zusammenspinnt.

Sie haben vor allem das Ende entscheidend geändert.

Das Buch endet damit, dass Sheba zu Barbaras Gefangener wird. Sie durchläuft keinen Prozess der bitteren Selbsterkenntnis. Das wäre für den Film ein sehr unbefriedigendes, frustrierendes und allzu düsteres Ende gewesen. Bei mir lernt Sheba etwas. Weshalb im Film auch nur scheinbar Barbara im Vordergrund steht, in Wirklichkeit geht es um Sheba. Sie ist am Anfang naiv, verliert dann ihre Unschuld, „befleckt“ sich und wird schließlich erwachsen.

Sheba hat ein sexuelles Verhältnis mit einem Minderjährigen – der Film aber zeigt das ohne moralische Empörung. Ist das die britische Prägung?

Vielleicht weniger britisch als europäisch. Gerechterweise muss ich aber sagen, dass der Film von einem Hollywoodstudio, Fox Searchlight, finanziert wurde und niemand uns gedrängt hat, moralischer zu werden. Wenn es eine 50-Millionen-Dollar-Produktion gewesen wäre, hätte man uns vielleicht gebeten, ein paar Dinge klar zu stellen. Aber es ist ein Arthausfilm. Außerdem wird ihr Verhalten ja nicht als vorbildlich hingestellt. Der Film verurteilt sie schon, macht aber keine böse Hexe aus ihr.

Man rätselt darüber, warum sie es tut.

Der Film zeigt genug Gründe für ihr Verhalten, ohne sich auf einen einzigen festzulegen. Mir gefallen Filme, die Geheimnisse haben, aber man muss sie auch entschlüsseln können. Deshalb hat mir auch Michael Hanekes „Caché“ so gut gefallen.

Heißt das, Sie haben dessen Geheimnis gelöst? Da sind Sie einer von wenigen! Wie denn?

Nun, in der letzten Szene sieht man doch, wie die beiden Söhne sich treffen, und kann daraus schließen, dass das Ganze eine Verschwörung der beiden ist. Ich dachte mir, die beiden haben sich kennen gelernt, der eine hat dem anderen erzählt, was seinem Vater angetan wurde, und dann haben sie einen Racheplan entworfen. Aber vielleicht liege ich damit auch völlig falsch! Was ich sagen wollte: Ich mag es geheimnisvoll. Ein Film sollte nicht alle Fragen beantworten, aber doch immer die richtigen Antworten im Hintergrund bereithalten.

Ist Drehbuchschreiber eigentlich ein frustrierender Beruf? Liefert man etwas ab, um dann zu erleben, wie andere daraus etwas ganz anderes machen?

Das war bei mir nicht so, ich war an diesem Film während des gesamten Produktionsprozesses sehr beteiligt. Das Filmemachen ist immer etwas frustrierend, weil alles so langsam geht. Aber sämtliche Entscheidungen wurden hier zusammen mit dem Regisseur, dem Produzenten und mir getroffen. In dieser Hinsicht war es eine glückliche Erfahrung.

Sie haben mit „Closer“ ein eigenes Stück zu einem Drehbuch verarbeitet. Ist das einfacher, als eine fremde Vorlage zu adaptieren?

Sicher, denn ich kannte den Stoff, die ganze Mechanik der Handlung viel besser. Aber tatsächlich adaptiere ich auch fremde Stoffe gern. Mir gefällt das Übertragen von einer Form in eine andere, vom Buch oder Stück zum Film. Man muss dabei immer einen Widerstand überwinden – ein Roman will schließlich ursprünglich kein Film sein.

Die meisten Leute sagen ja, dass die Buchvorlage grundsätzlich besser ist als der Film.

Das ist auch meistens so! Auch bei „Tagebuch eines Skandals“ ist das Buch besser! Natürlich! Wenn man überhaupt so urteilen will. Ein weiteres Beispiel: Alfonso Cuarons „Great Expectations“ ist ein wirklich toller Film. Charles Dickens Buch aber ist ein erhabenes Kunstwerk. Allenfalls beim „Paten“ mag das anders sein. Da ist der Film wohl sogar besser das Buch, das wäre die Ausnahme von der Regel.