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Archiv-Artikel

Die Reaktorlage: vielleicht stabil

FUKUSHIMA DAIICHI Die sechs Katastrophen-AKWs emittieren weiter Strahlung, aber teilweise mit fallender Tendenz. Die Temperaturen im Reaktorkern steigen allerdings bei manchen Reaktoren noch an

VON REINER METZGER

Der Sonntag war der erste Tag, an dem sich die Lage an den vier Katastrophenreaktoren nicht verschlechterte. Sie blieb auf hohem Niveau gefährlich. Die lange erwartete neue Hochspannungsleitung ist über das Wochenende endlich in Fukushima Daiichi, dem Ort der japanischen Atomkatastrophe, angelangt. Ihr tatsächlicher Nutzen ist unklar: Meldungen sprechen vom Anschluss der Reaktoren 4 und 5, dann wohl auch der Reaktoren 1 und 2 an das Stromnetz.

Bis Sonntagnachmittag MEZ lief damit offensichtlich noch keine Notkühlpumpe. Wenn die Betreibergesellschaft Tepco über Kühlaktionen berichtete, dann war immer noch ausschließlich von Dieselaggregaten und Wasserwerfern die Rede. Entweder ist die elektrische Infrastruktur auf dem Reaktorgelände durch das Erdbeben und das andauernde Berieseln und Pumpen von Meereswasser dauerhaft außer Gefecht. Oder die Pumpen sind mechanisch so beschädigt, dass der externe Starkstrom auch nichts hilft. Oder beides.

Genaue Angaben gibt es weiterhin gar nicht oder verspätet. So unterrichtet der Betreiber Tokyo Electric Power Company (Tepco) in einer Mitteilung lakonisch, man werde erhöhte Strahlung nur noch bei Ausschlägen über 500 Mikrosievert melden (also dem 2.000-Fachen der natürlichen Strahlenbelastung). Die Begründung: Da erhöhte Strahlung am Reaktor inzwischen der Normalfall sei, gäbe man nur noch außergewöhnlich hohe Ausbrüche bekannt.

Fest steht, dass es sich schon jetzt um die größten Unfälle der zivilen Atomkraft außerhalb Tschernobyls handelt: Die Brennstäbe des Reaktors 1 sind zu 70 Prozent beschädigt, schätzen die Atombehörden. Die des Reaktors 2 zu etwa einem Drittel. Diese beiden Reaktoren werden also jahrzehntelang als unbenutzbare Strahlenruinen an der Pazifikküste stehen. Genauso wohl die beiden Blöcke 3 und 4.

Für die beiden neuesten Blöcke 5 und 6 gab die Betreiberfirma Entwarnung. Hier geht es nicht um die Reaktoren selbst, sondern um die daneben in der 4. und 5. Etage gelegenen Abklingbecken. Dort strahlen abgebrannte Uran-Brennstäbe in einem schwimmbadgroßen Becken noch mehrere Jahre nach ihrem Gebrauch in einer lebensgefährlich hohen Dosis. Sie müssen ständig mit Wasser bedeckt sein. Der öffentliche japanische Rundfunksender NHK meldete am Sonntagmorgen, die Temperaturen in den Becken 5 und 6 würden endlich fallen statt steigen. Unter Berufung auf die Tepco hieß es, ein Stromgenerator am Block 5 konnte in Betrieb gesetzt werden. Bisher musste ein Hilfsdiesel von Block 6 alleine die Pumpen antreiben.

Die schlechte Nachricht: Die Wassertemperatur in den Reaktorbehältern steigt, Stand 6 Uhr Sonntagmorgen Ortszeit, auf knapp 200 Grad in Block 5 und auf gut 150 Grad in Block 6. Jetzt muss Tepco die Pumpenleistung zwischen den Reaktoren und den Abklingbecken hin und her schalten.

Kritischer war und ist die Lage am Abklingbecken des Reaktors 4. Die japanische Armee setzte zehn eigene und einen von der US-Army geliehenen Wasserwerfer ein. 80 Tonnen Wasser seien in den Reaktor 4 durch die zerstörten Außenwände eingesprüht worden, so das Verteidigungsministerium am Sonntagnachmittag Ortszeit. Keine aktuellen Angaben gibt es zum Pegelstand und dem Strahlenniveau.

Unklar ist die Gefährdung des Personals vor Ort. Das Hauptgebäude des Reaktorkomplexes liegt 500 Meter gegen die derzeit vorherrschende Windrichtung im Nordosten des am stärksten strahlenden Reaktors, der Nummer 3. Am Hauptgebäude sei die Strahlung stark gefallen, so Tepco. Um 8.30 Uhr Ortszeit habe man nur noch eine Dosis von 2,6 Mikrosievert pro Stunde gemessen. 18 Stunden vorher waren noch 800 Mikrosievert gemessen worden. Die 2,6 Mikrosievert entsprechen einer zehnmal höheren Dosis als die natürliche. 800 Mikrosievert entsprechen bei Dauerbelastung einer tödlichen Dosis.