: „CDU ist destruktiv“
INTERVIEW STEFAN REINECKE
taz: Herr Dürr, Ursula von der Leyen ist derzeit, so ein anonymer CDU-Funktionär, die „meistgehasste Frau in der Union“. Warum?
Tobias Dürr: Von der Leyens Problem ist, dass einige sie hassen, aber mehr noch, dass ihre Anliegen dem Rest der CDU egal sind. Dabei macht von der Leyen zeitgemäße Gesellschaftspolitik.
Warum gibt es dagegen so viel Widerstand?
Es gibt in der CDU die „Tafelsilberkonservativen“, wie Jörg Schönbohm das nennt, die gesellschaftliche Veränderung gleich für Niedergang halten. Die hassen von der Leyen, weil sie das Wertefundament der CDU zerstöre. Und es gibt die Wirtschaftsliberalen, denen Wertefragen wurscht sind. Deshalb ist von der Leyen alleine.
Es geht um einen Kulturkampf zwischen dem katholischem Traditionsmilieu, das richtig findet, was Bischof Mixa sagt – und einem städtischen Milieu, das mit Kitas und schwulen Bürgermeistern kein Problem hat …
Ja, wobei sehr unterschiedliche Milieus in Volksparteien nicht ungewöhnlich sind. Schwierig für die Union ist, dass es zwischen diesen Gruppen keinen Disput und keine Sprache mehr gibt. Sie nehmen sich gegenseitig einfach gar nicht wahr. Das ist dramatisch, weil der Identitätskitt, der die CDU früher verband, verschwunden ist. Früher sorgten Antisozialismus, Kirche und Bürgerlichkeit für ein stabiles Zusammengehörigkeitsgefühl. Das trägt heute nicht mehr.
Es geht also letztlich nicht um Kitaplätze, sondern um Identitätspolitik?
Genau.
Und warum bricht der Konflikt jetzt aus?
Gute Frage. Es gärt in der CDU schon länger. Man ist in der großen Koalition sowieso unzufrieden. Auffällig ist, dass alle Gruppen in der CDU frustriert sind. Die Wirtschaftsliberalen, die an den Leipziger Parteitag und das Team Merkel/Westerwelle geglaubt hatten, sind über Merkels Politik der kleinen Schritte enttäuscht. Das Symbol dafür war Merz’ Rückzug aus der Politik. Aber auch der Sozialstaatsflügel ist unzufrieden, wie Jürgen Rüttgers’ Attacken auf Merkel im letzten Sommer gezeigt haben. Und jetzt rebellieren auch noch die „Tafelsilberkonservativen“, die schon Elterngeld und Antidiskriminierungsgesetz für Frontalangriffe auf ihre Werte gehalten haben.
Vielleicht ist es ja normal für eine regierende Volkspartei, dass alle Flügel, dass Rechte und Linke, Modernisierer und Traditionalisten, unzufrieden sind. Krise ist ja sowieso der Normalzustand von Volksparteien. Wie ernst ist es denn wirklich für die CDU?
Es kann auch eine Balance der Unzufriedenheit geben – das stimmt. Aber die CDU ist derzeit destruktiv unzufrieden. Sie war nie eine Programmpartei. Sie ist es nicht gewohnt, Konflikte diskursiv auszutragen. Deshalb braucht die CDU in besonderem Maße Identitätskitt. Und der bröckelt eben. Nicht nur bei der CDU, sondern bei allen Volksparteien. Aber für die CDU ist dies schlimmer, weil sie diskursiv so unbegabt ist. Schönbohm hält sich z. B. für konservativ, macht aber jede ökonomische Liberalisierung mit – und fördert damit genau die Tendenzen, die seine Werte, Heimat und Vaterland, gefährden. Auch diesen inneren Widerspruch kann die CDU nicht austragen.
Das war aber schon immer so. Franz Josef Strauß’ Satz „Konservativ sein heißt an der Spitze des Fortschritts zu marschieren“ war eine paradoxe Formel, um Unvereinbares zu vereinen.
Das war eine Formel, um diesen Konflikt zu befrieden. Aber – sie hat funktioniert. Parteien sind auch Gefühlsgemeinschaften, die auch logisch Widersprüchliches aushalten – solange der Identitätskitt hält.
Machtpolitisch ist der Kita-Konflikt entschieden. Koch und Wulff stützen von der Leyen – nur Schönbohm haut rhetorisch noch auf die Pauke.
Es ist kein prominenter Politiker in Sicht, der sich an die Spitze einer konservativen Rebellion gegen Merkel stellen würde. Wahrscheinlich ist etwas anderes: nämlich dass viele in der Partei demotiviert sind, dass das Fußvolk keine Lust mehr hat. Und es gibt noch immer das Gefühl bei vielen in der CDU, dass Angela Merkel eigentlich „keine von uns“ ist. Das ist der Kern des Konflikts. Die Milieus bewegen sich wirklich auseinander – und Merkel ist unfähig, eine einigermaßen moderne Politik mit einer identitäts- und symbolstiftenden Politik zu verbinden.