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Archiv-Artikel

LONG PLAYING RECORD Jukebox - Der musikalische Aszendent

Mit Morrissey leiden und sich daran erfreuen

In der Pubertät war ich manchmal sehr traurig. Manchmal auch sehr, sehr traurig. Deprimiert. Ratlos. Rastlos. Niedergeschlagen. Entmutigt. Verstimmt.

Die Welt war gemein. Niemand verstand mich. Pickel machten mir zu schaffen. Das Mädchen, in welches ich so sehr verliebt war, dass ich mir nicht vorstellen konnte, jemals eine andere zu lieben, küsste den größten Dummkopf des Jahrgangs. Aber er sah toll aus mit seiner Fönwelle und seinem Markenpulli. Ich war schluffig gekleidet und wusste: Eine beschissene Frisur und ausgelatschte Turnschuhe sind genau das Richtige, um der Welt zu zeigen, wie scheißegal mir alles war. Alles scheißegal, bis auf meine Teenager-Depression, die war wichtig. Für mich. In solchen Momenten ist es gut, wenn man einen Freund hat, der einen versteht. Bedingungslos. Und Menschen, die man nicht persönlich kennt, können da wunderbare Dienste leisten. Sie widersprechen nicht.

Mein bester Freund war Steven Patrick Morrissey, der Sänger der Band „The Smiths“. Mit ihm konnte ich leiden und mich auch am Leid erfreuen. Er sang vor, ich sang mit. Alleine in meinem Zimmer. Noch heute merke ich einen kleinen Schauder, wenn im Radio der Song „There is a light that never goes out“ von der Platte „The Queen Is Dead“ gespielt wird. Diese Zeilen: „Driving in your car / Oh, please don’t drop me home / Because it’s not my home / It’s their home and I’m welcome no more // And if a double-decker bus crashes into us / To die by your side is such a heavenly way to die / And if a ten ton truck kills the both of us / To die by your side, well, the pleasure and the privilege is mine“. Das war und ist für mich immer noch die beste Umschreibung der Liebe in der Pubertät. Zuhause fühlt man sich unerwünscht und unverstanden, und neben einem geliebten Menschen zu sterben kann man sich als das Tollste vorstellen, das geschehen könnte.

Ich lebe noch, dank Morrissey, der nicht nur meine Gefühle besang, sondern mir mit anderen Songs auch zeigte, dass man Spaß haben konnte, zum Beispiel mit einem „Vicar in a tutu“. Vielleicht gehe ich am 17. Dezember zu seinem Solo-Konzert und freue mich mit ihm am Leben und ein bisschen auch am Leiden. WERNER LABISCH