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Archiv-Artikel

„Unsere Patrons sind nicht fähig“

INTERVIEW DOROTHEA HAHN

taz: Monsieur Knepper, Airbus will 10.000 Stellen abbauen – in Frankreich und in Deutschland. Wie ist jetzt die Stimmung, wenn Sie, der französische Betriebsratschef bei Airbus, Ihrem deutschen Kollegen, Rüdiger Lütjen, begegnen?

Jean-François Knepper: Wir hatten am 12. Februar in Paris ein Treffen von Force Ouvrière und IG Metall, um unsere Missverständnisse und Probleme zu überwinden. Die Stimmung war korrekt aber viril.

Was heißt viril?

Wenn es um Arbeitsplätze geht und um die Zukunft von Standorten, ist die erste Reaktion von Leuten, die Eigeninteressen verteidigen, dass sie sich auf sich selbst zurückziehen. Das ist normal. Aber da wir intelligente Leute sind, haben wir verstanden, dass die Einheit die Stärke ist. Nachdem wir unsere dreckige Wäsche hinter verschlossenen Türen gewaschen haben, wollen wir eine gemeinsame politische Linie suchen. Wir sind die beiden Mehrheitsgewerkschaften. Und wir sind absolut sicher, dass wir einig sein müssen, um uns gegen „Power 8“ stellen zu können.

Airbus ist jahrelang als europäische Erfolgsgeschichte beschrieben worden. Als Vorbild für grenzüberschreitende, europäische Unternehmungen. Kaum bricht eine Krise aus, kommt es bei Airbus zu nationalen Rivalitäten. Lütjen verteidigt das „deutsche Interesse“. Sie die „französischen Standorte“. Geht es nur gegeneinander?

Wir haben verteidigt, dass die französischen Standorte produktiv, flexibel und angepasst sind. Aber das bedeutet nicht, dass die deutschen, englischen und spanischen Standorte es nicht wären. Man kann sehr gut sowohl die Gesamtheit der deutschen, als auch der französischen Standorte verteidigen, ohne dass das zu Konflikten führen muss.

Also ist das kein deutsch-französischer Gewerkschaftskonflikt?

Unsere Patrons sind seit fünf oder sechs Monaten nicht fähig, das Unternehmen wieder auf die Füße zu stellen. Da es nichts Neues über „Power 8“ gab, haben die Medien einen deutsch-französischen Krieg zwischen den Gewerkschaften beschrieben.

Was ist der Ursprung der Probleme bei Airbus?

Eine Managementkrise. Nicht die Ingenieure oder Abteilungsleiter sind verantwortlich, sondern die großen Patrons. Die Mitglieder des Exekutivkomitees von Airbus und EADS. Deren Auftrag war es, die europäische Integration hinzukriegen. Sie sollten dafür sorgen, dass die Beschäftigten in Frankreich, Deutschland, England und Spanien nicht gegeneinander arbeiten, sondern miteinander. Die großen Patrons sind gescheitert. Nicht die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften.

Wo liegen die Hauptfehler des Managements?

Das ist ein Zusammentreffen von Phänomenen. Als er Chef von Airbus, aber noch nicht von EADS war, wollte Noël Forgeard es so machen wie Boeing. Er wollte im Inneren der Gruppe sowohl eine Luftfahrtindustrie haben als auch eine sehr starke Verteidigungsindustrie. Um die Forschung und Entwicklung der zivilen Luftfahrt über den Verkauf von militärischen Produkten, die viel Geld bringen, zu finanzieren. Das ist nicht von den Regeln der WTO verboten.

Das war 2003 und 2004.

Seither wollte Forgeard an die Spitze von EADS kommen und eine Fusion zwischen EADS und der großen französischen Verteidigungsgruppe Thalès durchsetzen, eine der größten internationalen Verteidigungsgruppen. Wenn er das erreicht hätte, wäre er am Ziel gewesen. Dafür war die Zustimmung der Deutschen nötig. Doch Programmchefs wie Charles Champion [Exprogrammchef bei der A 380; d. Red.] konnten gegenüber den Deutschen nie durchsetzen, dass sie mit anderen Werkzeugen arbeiten als denen, die sie kennen. Man muss die Deutschen mit ihren eigenen Methoden arbeiten lassen. Man darf sie auf keinen Fall verärgern.

Das hört sich so an, als wären die Deutschen äußerst sensibel.

Umgekehrt wäre das genauso gewesen. Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil es um die A 380 ging. Letzten Endes hat nie jemand den anderen etwas aufzwingen können. Dabei sind sich heute alle einig, dass es vor allem ein Kabelproblem in Deutschland war. Selbst der Deutsche Jürgen Thomas [Vater des Airbus-380-Programms und Mitglied im Airbus-Exekutivkomitee; d. Red.] hat das gesagt. Indem man das feststellt, wirft man keinen Stein auf die deutschen Arbeiter oder Technikingenieure in Deutschland. Solange wir keine Integration hinkriegen, werden wir bei Airbus nichts regeln. Wenn wir so weitermachen, ist sicher, dass Airbus niedergeht.

Die „Integration“ war nichts weiter als Fensterreden?

Sie ist nirgends in der Gruppe gemacht worden.

Aus welchen Gründen?

Ich glaube, dass Deutschland seit 1989 und der Wiedervereinigung eine Priorität hatte: die Beschäftigung. Es gab 15,36 Millionen zusätzliche Bürger, die integriert werden mussten. Sie waren nicht unbedingt mit neuen Technologien erfahren. Kamen aus einer mehr oder weniger veralteten Industrie und mussten erst einmal weitergebildet werden. Dieses Problem – zusammen mit der Parität von Ost- und Westmark – war eine große Herausforderung. Deutschland hat da ganz auf Solidarität gesetzt – von Politik, Gewerkschaften Staatsbürgern.

Wollen Sie damit sagen, dass Airbus viel Rücksicht auf besondere deutsche Interessen nach dem Mauerfall genommen hat?

Sowohl dieses Unternehmen als auch alle anderen großen Gruppen, haben das gemacht. Sie mussten die Beschäftigung in den Vordergrund stellen. Das ist auch bei Airbus ins Gewicht gefallen.

Erstaunlich, dass ein Gewerkschafter kritisiert, wenn die Beschäftigung im Vordergrund unternehmerischer Entscheidungen steht.

Ich kritisiere das nicht. Sondern ich beneide diese Politik. Ich finde, dass wir in Frankreich gut daran täten, uns von gewissen Dingen inspirieren zu lassen: von einer Industriepolitik, in deren Vordergrund die Beschäftigung steht, anstatt die Rentabilität. Das einzige Problem ist, dass das auch industriell funktionieren muss. Das Problem der A 380 war, dass Deutschland maximal die Beschäftigung privilegiert und dabei eine industrielle Laschheit gezeigt hat.

Das ist das Gegenteil dessen, was normalerweise über die Rolle der beiden Regierungen gegenüber großen Unternehmen gesagt wird. Sie sagen: Berlin mische sich in die Unternehmen ein.

Und nicht nur bei Airbus. Sondern bei den großen Gruppen insgesamt. Davon bin ich absolut überzeugt. Es gibt eine nationale Solidarität in Deutschland, die stärker ist als in Frankreich. Nehmen Sie das Problem des Sogerma-Werkes in Mérignac bei Bordeaux, das zur Gruppe EADS gehörte. Vor neun Monaten galt das Werk als nicht rentabel. Seine Aktivitäten wurden aufgesplittet und das Unternehmen verkauft. In Deutschland wäre das niemals möglich gewesen. Ein großer Teil der früheren Aktivitäten aus Mérignac werden heute in Dresden erledigt.

Was hätten Sie als Topmanager von Airbus anders gemacht?

Die Dinge ansprechen. Selbst wenn man meint, dass nationale Interessen geschützt werden müssen, darf man Unternehmensentscheidungen nicht auf Lügen, Unausgesprochenes und politische Korrektheit stützen.

Das müssen Sie konkreter sagen …

Zum Beispiel bei den Kabelproblemen der A 380 hätte man es sofort sagen müssen, und nicht erst zwei Jahre warten sollen. Unsere Hamburger Kollegen wären nicht verletzt gewesen, wenn man ihnen vor zwei Jahren gesagt hätte, die Methode, die ihr für die Kabel gewählt habt, ist nicht die richtige. Im Interesse aller müssen wir eine andere Technologie nehmen. Gerade Deutschland hat bei dieser Affaire viel verloren.

Wie beschreiben Sie die aktuelle Lage des Unternehmens?

Wir haben 6,3 Milliarden Euro wegen der Verspätungen bei A 380 verloren. Zusätzliche Milliarden bei dem lancement der A 350. Hinzu kommen die Pläne von Boeing. Das macht insgesamt 20 Milliarden, die wir unbedingt finden müssen. Zwanzig Milliarden Euro – das ist ziemlich viel. Das ist eine finanzielle Krise, eine politische. Und sie würde eine industrielle werden, wenn unsere Patrons uns zur Aufspaltung des Unternehmens führen.

Aber mit den großen Linien von „Power 8“ sind Sie nicht einverstanden?

Wir sind absolut nicht mit den Wirtschaftsplänen und dem Management des Unternehmens einverstanden. Das Einzige, was wir unbedingt für nötig halten, ist eine Reorganisation der Gruppe. Es muss bei jedem Projekt einen Chef geben, der echte Vollmachten hat, um anzuwenden, was gut für das Programm ist. Heute ist die Organisation so, dass alle entscheiden und niemand anwendet. Wenn man einen Chef hat, ganz egal, ob er Franzose, Deutscher, Engländer oder Spanier ist, wird umgesetzt, was er sagt. Wenn wir das nicht schaffen, wird unser Unternehmen sterben.

Toulouse ist einer der letzten großen Industriestandorte in Frankreich. Wird Ihre Region so enden wie Lothringen nach der Stahlkrise?

Davon sind wir weit entfernt. Der Luftfahrt in Europa winkt eine brillante Zukunft: Sowohl die Experten von Boeing als auch die von Airbus gehen davon aus, dass sich der Markt in der Größenordnung von 5 Prozent pro Jahr entwickeln wird. Das bedeutet, dass sich der Markt in 20 Jahren verdoppeln wird. Wenn der Kontext derselbe bleibt, würde das für uns 870 Flugzeuge im Jahr bedeuten, statt 435 im letzen Jahr.

Aber die könnte Airbus auch in den neuen Produktionsstätten in Russland und China herstellen.

Das möchte ich sehen. Boeing hat gerade seinen fünften Rumpf auf den Müll geworfen. Der war nicht in Korea oder in China hergestellt, sondern in Japan. Das ist immerhin ein Industrieland. Man wird nicht von heute auf morgen Flugzeughersteller. Wir dürfen nicht zulassen, dass uns unser savoir faire verloren geht. Das ist gleichbedeutend mit der Zerstörung des Unternehmens.

Wollen Sie weitere Standortverlagerung nach außerhalb von Europa verhindern?

Die industrielle Aufteilung haben wir gemacht. Darunter 35 Prozent für Deutschland und Frankreich. Aber im Inneren dieser Aufteilung haben wir bereits sehr, sehr viel nach außen verlagert. Ein großer Teil wird anderswo produziert: in Korea, in China, in Brasilien, in Kanada und in Italien. Das ist schon viel. Und es erlaubt den vier französischen Standorten, zu leben. Aber wir werden nie Airbusse akzeptieren, die komplett anderswo in der Welt hergestellt worden sind. Dann wäre Airbus zu nichts mehr Nutze. Airbus ist zweifellos die schönste Realität dessen, was Europa ist und sein soll. Aber es muss für die Völker Europas da sein. Wenn wir unsere Patrons machen lassen, habe ich schwere Befürchtungen für die Zukunft.