Die Nacht der langen Messer

Hamburgs Sozialdemokraten debattieren pausenlos über Konsequenzen aus Wahlbetrug bei der Mitgliederbefragung. Erste Rücktritte gestern Abend erwartet, Landesschatzmeister gab schon auf

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Zu nächtlicher Stunde wollten sie vor die Presse treten und „eine Stellungnahme“ abgeben, der Hamburger SPD-Parteivorsitzende Mathias Petersen sowie seine beiden StellvertreterInnen Dorothee Stapelfeldt und Karl Schwinke. Um 20 Uhr hatte sich der gesamte Landesvorstand in der Parteizentrale Kurt-Schumacher-Haus eingefunden, um über die Konsequenzen aus der wegen einer Wahlmanipulation gescheiterten Mitgliederbefragung zu beraten. Eine Nacht der langen Messer wurde nicht ausgeschlossen.

„Mit Hochdruck“ wurden Petersen und Stapelfeldt nach taz-Informationen vor der Sitzung bearbeitet, ihre Bewerbungen um die Spitzenkandidatur für die Bürgerschaftswahl in einem Jahr zurückzuziehen. Beide hatten sich in einer Kampfkandidatur der Umfrage unter den 11.500 Hamburger GenossInnen gestellt. Ob Petersen auch von seinem Amt als Parteichef zurücktreten würde, war aber vollkommen offen.

Vor der Krisensitzung des Vorstandes hatte es den ganzen Tag über widersprüchliche Signale gegeben. Der 51-jährige Arzt und Bürgerschaftsabgeordnete schloss einen Rücktritt aus. Aus seinem Umfeld wurde die Forderung gestreut, Stapelfeldt müsse ihre Ambitionen aufgeben. Begründet wurde dies mit dem inoffiziellen Ergebnis des Basisvotums, aus dem Petersen als Sieger hervorgegangen sei.

Bei der Auszählung der Stimmen am Sonntagabend war festgestellt worden, dass in der Briefwahlurne 959 Stimmzettel verschwunden waren. Daraufhin hatte der Landesvorstand nach mehrstündigen Krisensitzungen die Auszählung gestoppt und somit für ungültig erklärt. Offensichtlich habe man es „mit einem kriminellen Vorgang zu tun“, hatte Petersen am Sonntagabend vor den auf ein Endergebnis wartenden Journalisten im Kurt-Schumacher-Haus erklärt.

Zu mitternächtlicher Stunde allerdings ließ die eingeschaltete Schiedskommission der Partei die Stimmen dennoch auszählen. Das Ergebnis lautete 2.780 für Petersen, 1.730 für Stapelfeldt. Selbst alle verschwundenen Stimmzettel hätten der 50-jährigen Parteivize also nicht mehr zum Sieg gereicht. Am Montag früh nahmen Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt die Ermittlungen auf.

Petersen, der zuvor gegenüber den noch anwesenden Mitgliedern des Landesvorstandes seinen Rücktritt angeboten hatte, wollte davon nun nichts mehr wissen. Gefolgsleute verbreiteten die Interpretation, ein so klarer Vorsprung bei einer hohen Wahlbeteiligung von fast 50 Prozent der Parteimitglieder sei „ein politischer Auftrag für Petersen“. Deshalb müsse Stapelfeldt ihre Bewerbung für die Kandidatur zurückziehen.

Tat sie aber nicht. Schließlich sei unsicher, ob nicht die etwa 500 Stimmzettel manipuliert seien, die noch in der Briefwahlurne waren, hieß es aus ihrem Umfeld zu Begründung.

Ein Hickhack, das auch die Bundespartei aufschreckte. Am Montagabend beorderte der aus Berlin angereiste Bundesgeschäftsführer Hubertus Heil die beiden KontrahentInnen sowie die Vorsitzenden der sieben Parteikreise zum Rapport in das Renaissance-Hotel in Rathausnähe. Stapelfeldt und Petersen nahm er in Einzelgesprächen ins Gebet. Offiziell wurde über die Treffen kurz vor Mitternacht lediglich mitgeteilt, alle Beteiligten wollten das Ergebnis „noch einmal überschlafen“. Dazu hatten sie bis gestern Gelegenheit.

Nicht mehr nachdenken musste Landesschatzmeister Harald Christ. Der kündigte gestern an, zum 31. März sein Amt niederzulegen. Christ war erst im Mai vorigen Jahres auf Vorschlag von Petersen zum Schatzmeister der Hamburger SPD und damit auch zum Mitglied des Landesvorstandes gewählt worden. Zur Begründung führte Christ seine „wachsenden Aufgaben“ als Vorstandschef der von ihm gegründeten Firma HCI Capital an. Zugleich forderte er aber nach dem Wahldesaster vom Sonntag einen „personellen Neuanfang“ ein. Dafür gebe es „gute Leute“ in der SPD.

Über die Tat wird bereits spekuliert. Genannt werden Schleswig-Holsteins Sozialministerin Gitta Trauernicht, zuvor auch Ministerin in Hannover und Staatsrätin in Hamburg, sowie der Vorsitzende der Bürgerschaftsfraktion, Michael Neumann. Auch Markus Schreiber, Leiter des Bezirksamtes Mitte, wird von einigen GenossInnen ins Spiel gebracht.

Und wenn alle Stricke reißen, ließe sich ja vielleicht noch ein altgedienter Kämpe dazu bewegen, die Partei zu retten: Ex-Bürgermeister Henning Voscherau allerdings will nachdrücklich gebeten werden.