Apokalypse jetzt!

Christian Klar schreibt via „junge Welt“ eine antikapitalistische Grußadresse an eine Konferenz linker Unentwegter – und soll so Köhlers Gnade verwirkt haben. Was aber verrät die Sprache des Autors?

VON JAN FEDDERSEN

Der Fall verdient eigentlich nur noch, ins Archiv gepackt zu werden: Christian Klar hat Anfang des Jahres, am 13. Januar genauer gesagt, offenkundig aus dem Gefängnis heraus, eine Grußadresse an die Teilnehmenden der Rosa-Luxemburg-Konferenz verschickt. Und zwar in der jungen Welt, einem Blatt, das Saddam Hussein guthieß und den Stalinismus für eine unvermeidliche Epoche der Menschheitsentwicklung hält. Klar, der möglicherweise bald vom Bundespräsidenten begnadigte Langzeithäftling aus der RAF, schrieb unter anderem dies: „Die spezielle Sache dürfte sein, dass die in Europa ökonomisch gerade abstürzenden großen Gesellschaftsbereiche den chauvinistischen ‚Rettern‘ entrissen werden. Sonst wird es nicht möglich sein, die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen.“

Tastende Unsicherheit

Markus Söder, Allzeitbulldackel der CSU, nimmt Klars Grußbotschaft zum Anlass, munter antirechtsstaatlich zu kläffen. Spannender als dieser Reflex aber könnte ein Diskurs über die Sprache sein, die Klar in seinem Brief verwendet.

Mit Blick auf das Konferenzmotto – „Das geht anders“ – schreibt Klar, es bedeute, „so verstehe ich es, vor allem die Würdigung der Inspiration, die seit einiger Zeit von verschiedenen Ländern Lateinamerikas ausgeht. Dort wird nach zwei Jahrzehnten sozial vernichtender Rezepte der internationalen Besitzerklasse endlich den Rechten der Massen wieder Geltung gegeben und darüber hinaus an einer Perspektive gearbeitet.“ Allein schon diese tastende Unsicherheit („so verstehe ich es“), die nichts mehr hat vom allwissenden Klang früherer RAF-Dekrete. Und man hört es heraus: „Perspektive“, dieses Wort verrät den Wunsch des Autors – nämlich selbst eine zu haben. Dass er sich diese nur mit Menschen aus jenen Milieus vorstellen kann, die mindestens vage verkörpern, was Klar einst selbst gut fand, kann doch jeder verstehen: Wie hätte er auch im Knast andere Anschlüsse finden können oder wollen? Er saß (und sitzt) doch vermutlich immer noch in dem Glauben fest, nur einer unter Millionen mit dem bewaffneten Kampf Einverständigen gewesen zu sein.

Endgültiges Aufräumen

Die zitierte Passage aber birgt auch Neues, aus dem Zeitgeist heraus Geborenes. „Länder Lateinamerikas“ – da hofft einer auf den venezolanischen Führer Hugo Chávez, den ihn seine Gewährsleute wohl nicht als mit einem (Selbst-)Ermächtigungsgesetz ausgerüsteten Staatsführer schilderten, sondern als noblen Kämpfer gegen das Kapital. Die Wendung von den Umständen „vernichtender Rezepte“ klingt nebulös – so wie auch RAF-Analysen einst wenig blutvoll waren, aber immerhin ist eine apokalyptische Note zu spüren. Der Assoziationsbogen zu Pech und Schwefel, die vom Himmel fielen, ist geschlagen – und wird auch thematisiert: „aus dem Himmel zu züchtigen“ taucht im zweiten Absatz auf – als Charakteristikum für das Kapital, das „den Rechten der Massen“ keinen Raum gebe. Und auch der Satz nach seinen Äußerungen zu all dem Dreck, gegen den sich zu wehren kaum möglich sei, verheißt das endgültige Aufräumen, dem sich eben auch diese Konferenz widmet: „Das geht anders“ gelte „trotzdem“, denn: „Wo sollte sonst die Kraft zu kämpfen herkommen?“

Das ist wiederum typisch RAF: Der Kampf als solcher als echteste Daseinsform des Menschen, wolle er sich nicht mit „Entfremdung“ abfinden. Aber dass es ihn all die Jahre durchzustehen an Kraft gebrechen könnte, ist neu. Klar spekuliert, womöglich sein Innerstes offenbarend, auf die Aussichtslosigkeit dessen, wofür er stehe: dass es allzu sehr erschöpfen könne. Auch der Verweis seiner, nun ja, Epistel, seines Briefes an die wissenden, nie wankenden Hirten vom rechten Leben auf das neue Leben enthüllt Klars Sehnsucht nach einem Storno dessen, wofür er einzustehen hat: „Schließlich ist die Welt geschichtlich reif dafür, dass die zukünftigen Neugeborenen in ein Leben treten können.“ Der Häftling, der wie neu geboren ins freie Leben treten will, der sich mit dem unbewussten Wunsch kreuzt, die Jungen mögen es besser, erfolgreicher machen als er.

Drohende Einsamkeit

Das ist, alles in allem, eine Meinung, die man haben kann. Die man, wie wohl die meisten der Zuhörer Klars, nicht teilen muss. Aber es ist kein Aufruf zum bewaffneten Kampf. Da möchte einer Anschluss finden, denn sonst droht Schlimmeres als Knast mit womöglich eingebildetem Heldenstatus: Einsamkeit wegen Einsicht in Sinnlosigkeit der einstigen Sache. Darüber hinaus wird man sagen müssen: Klars Brief atmet eine Luft, wie sie auch gern in WASG-Szenen, in Sahra-Wagenknecht-Fanklubs, in taz-Zusammenhängen (wie man so sagt) oder in restautonomen Zirkeln inhaliert wird. Das verdient vor allem Respekt: den, der jedem zusteht, der partout keinen fremden Flöten hinterherwackeln möchte.